Macht der Bilder

Diskriminierung von Sinti und Roma existiert in Mitteleuropa seit mehr als 500 Jahren

  • Udo Engbring-Romang
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit mehr als 500 Jahren müssen Sinti und Roma in Mitteleuropa mit Vorurteilen leben, die zu Ausgrenzungen, Diskriminierungen, Verfolgung bis hin zum Völkermord während der NS-Herrschaft führten. Auch im 21. Jahrhundert wird sehr schnell vom Roma-Problem gesprochen, wenn diese Menschen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Als »Zigeuner« in vielen europäischen Sprachen bezeichnet, glauben auch heute viele Menschen »die« Roma und Sinti zu kennen. Den meisten ist nicht bewusst, dass sie Bildern aufsitzen, die vor Jahrhunderten geprägt wurden und heute noch wirken.

Falsche Vorstellungen

Wenn wir in einer Beschreibung der »Zigeuner« lesen, dass sie heimatlose, in Armut lebende, die Arbeit verweigernde Menschen mit dunklem Teint sind, die bei ihrem Herumziehen auch vor Trickbetrug und Diebstahl nicht zurückschrecken, so müssen wir nicht wissen, dass dieser Text von einem Humanisten des 16. Jahrhunderts stammen könnte, von Sebastian Münster. Seine »Cosmographie« enthält einen Katalog von Zuschreibungen, der im Laufe der Jahrhunderte um die Bilder Gewaltkriminalität, Bildungsunwilligkeit und -unfähigkeit bis zur positiv gemeinten »Natürlichkeit« und Musikalität erweitert wurde. »Zigeuner« sind eine Konstruktion, formuliert von Herrschenden, verfeinert von Wissenschaftlern, propagiert von Schriftstellern und Dichtern, auf- und angenommen im Volk. Jeder glaubt zu wissen, was das Wesen der »Zigeuner« ist, auch wenn sie mittlerweile als Sinti und Roma bezeichnet werden.

Vor allem im Zeitalter der Aufklärung und der Romantik wurde das Bild verfestigt, als der Rassengedanke formuliert wurde und Wissenschaftler die asiatische Herkunft zum Indikator für die Andersartigkeit ernannten. Als nach 1900 Rassismus Gemeingut in den Gesellschaften wurde, fand auch in der Verfolgungspolitik der Gedanke Eingang.

Gemeingut Rassismus

Wurde zuvor ausschließlich das »Verhalten« der Sinti und Roma von staatlichen Stellen zum Anlass genommen, diese Gruppe zu vertreiben, zu zerstreuen, umzuerziehen oder zu assimilieren, so fand in den 1920er Jahren z.B. in Hessen der Rassegedanke Eingang in die Gesetzgebungsdiskussion, denn »Zigeuner« war derjenige, den die Rasseforschung als solchen definiert. Es gab nur wenige, die sich gegen eine solche Politik der Diskriminierung wandten. So wundert es auch wenig, wenn nach 1933 die Nationalsozialisten Gesetze aus der Weimarer Republik anwandten, um gegen Sinti und Roma vorzugehen. Es wundert ebenfalls wenig, dass es gegen die Verfolgungspolitik fast keinen Widerstand in der Bevölkerung gab. Die Bilder, seit Jahrhunderten wirkend, ließen Mitleid, Sympathie oder gar Solidarität nicht aufkommen.

Der tief sitzende Antiziganismus blieb auch nach 1945 Teil der deutschen Staaten: im Osten durch die Nichterwähnung der Verfolgung der Sinti und Roma, im Westen durch die skandalöse Durchführung der Entschädigungsverfahren. Auch hier wirkten wieder die »Zigeuner«-Bilder: Sinti und Roma seien nicht aus rassistischen, sondern aus kriminalpräventiven Gründen im Nationalsozialismus verfolgt worden. Erst die Bürgerrechtsbewegung der Sinti bewirkte, dass diese Politik Anfang der 1980er Jahre beendet wurde. Nicht beseitigt wurden die Ressentiments: Nach den neuesten Erhebungen aus dem Jahre 2011 haben immer noch mehr als 40 Prozent der Bevölkerung massive Vorurteile gegen Sinti und Roma.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.