»Wir waren richtig gut«
Rot-grünes Selbstlob beim letzten Urwahlforum der Grünen
Freitagabend, Gelsenkirchen, eine evangelische Gesamtschule neben einer Solarsiedlung: »Was haben wir Grünen also in der Regierung falsch gemacht, was müssen wir besser machen?« Die Frage aus dem Publikum kann Renate Künast nicht erschüttern. Sie freue sich, dass der Fragesteller offensichtlich davon ausgehe, dass es nach der Bundestagswahl 2013 für Rot-Grün reiche, sagt die Chefin der Grünen Bundestagsfraktion. Dann lobt sie die Hartz-Reformen im Grundsatz, kritisiert aber »Mängel« wie die Sanktionen gegen ALG-II-Bezieher und die »unterbelichtete« Förderung Arbeitsloser. Doch dann kommt sie wieder zum Positiven, zu den »wahnsinnig großen Weichenstellungen«, die Rot-Grün zu verdanken seien. Starker Applaus ist die Antwort.
Jürgen Trittin, der der Parteilinken zugerechnet wird, argumentiert kurz darauf ganz ähnlich wie die Reala Künast: Er verteidigt die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Zuge der Hartz-Reformen als sozial. Es »war aber falsch«, die Steuern zu senken und auf Mindestlöhne und eine Regulierung der Leiharbeit zu verzichten. »Aber wir waren auch richtig gut«, ruft der Ex-Bundesumweltminister in den Saal: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, der Atomausstieg, der Einstieg in die Biolandwirtschaft! »Ich würde das gerne fortsetzen«, wirbt Trittin. Starker Applaus ist auch »dem Jürgen« gewiss.
Trittin wie Künast lehnen Schwarz-Grün und eine Ampel-Koalition mit der FDP ab, beschweigen an diesem Abend aber die Linkspartei - dabei darf es als durchaus offen gelten, ob es nach der Wahl für eine eigenständige rot-grüne Mehrheit reichen wird.
Sieben der 15 Grünen, die als Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Bundestagswahl antreten wollen, stellen sich den Fragen der grünen Jugend, die hier an diesem Wochenende ihren Bundeskongress abhält. Von den Basiskandidaten fehlt an diesem Abend mehr als die Hälfte, von den Promis ist Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt nicht da - aus privaten Gründen, wie es heißt.
Kandidat Roger Kuchenreuther lobt in breitestem Fränkisch die einstige Wehrpflicht als »eine gute Sache«, weil »die Leute so endlich mal rauskamen« aus ihrem Elternhaus. Gejohle im überwiegend studentischen Publikum. Sei Mitbewerber Patrick Held plädiert für Verzicht zum Wohle des Klimas. Nico Hybbeneth, der vom Taxi aus ein ZDF-Kamerateam beorderte, ihn bei der Ankunft vor Ort zu filmen, fordert »einen Generationswechsel« und eine höhere Mehrwertsteuer - was die Damen und der Herr von der innerparteilichen Konkurrenz alles andere als freudvoll goutieren.
Kandidat Peter Zimmer fragt: »Was ist überhaupt ein Kind?« - und findet, dass jeder dann wählen dürfen sollte wenn er wählen will. Nicht wenige klatschen. Dann redet Zimmer über Inzest (»Diese Freiheit sollten wir uns nehmen!«), woraufhin Gelächter ausbricht.
Parteichefin Claudia Roth versucht derweil, es allen recht zu machen. Ein veganer Bundesparteitag? Die Frau im allzu lila-farbenen Kleid schluckt. Dann plädiert sie für »gescheite Ernährung« und »gutes Essen«. Das habe »auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun«. Roth wettert gegen billige Schweineschnitzel. Doch es reiche nicht, bloß vegetarisch zu kochen. Es müsse auch schmecken, was die jungen Grünen in Gelsenkirchen gerade bewiesen. Manchmal seien aber bis zu 2000 Delegierte zu verköstigen, rechnet Roth vor, da sei ein veganer Parteitag schwer zu machen; jedenfalls werde es im Dezember in Hannover damit nichts.
Roth betont dann noch, wie gerne sie »ein gescheites Schnitzel« verspeist und hat nun auch die Fleischfresser auf ihrer Seite. Und natürlich freut sich auch die Parteivorsitzende auf eine Neuauflage von Rot-Grün.
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