Das Erbschaftssteuerrecht ist verfassungswidrig
Spektakuläres Urteil des BFH
Dass Betriebsvermögen in der Regel steuerfrei vererbt und verschenkt werden könne, dies sei eine »verfassungswidrige Überprivilegierung« zum Nachteil der übrigen »Steuerpflichtigen, die die Begünstigungen nicht beanspruchen könnten«, erklärten die höchsten Steuerrichter am 10. Oktober 2012 (Az. BFH II R 9/11). Sie legten das Anfang 2009 in Kraft getretene Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.
Der Bundesfinanzhof kam zu dem Ergebnis, die Begünstigung von Betriebs-, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen sei »im Kern verfassungswidrig«. Sie führe »zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung«.
Betriebsvermögen bleibe in der Regel ohne Rücksicht auf die Höhe oder die Leistungsfähigkeit des Erben steuerfrei. »Durch rechtliche Gestaltungen« könne Vermögen in unbegrenzter Höhe zu begünstigtem Betriebsvermögen gemacht werden. Sogar eine sogenannte »Cash-GmbH«, deren Vermögen ausschließlich aus Bankguthaben bestehe, könne laut Gesetz steuerfrei verschenkt oder vererbt werden, kritisierten die Richter. Dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung und Arbeitsplätze gefährde, sei falsch.
Die Gleichstellung von Geschwistern, Nichten und Neffen mit familienfremden Dritten bei der Erbschaftsteuerreform 2009 erklärte der Bundesfinanzhof dagegen für rechtens. Der im Grundgesetz verankerte Schutz von Ehe und Familie beziehe sich nur auf die Gemeinschaft von Eltern und Kindern.
Die Revisionsklage eines Mannes, der seinen kinderlosen Onkel gepflegt hatte und nach dessen Tod für eine Erbschaft von 51 000 Euro denselben Steuersatz wie nicht verwandte Dritte bezahlen musste, wurde trotzdem nicht abgewiesen: Das Gesetz insgesamt verstoße gegen das Grundgesetz und benachteilige ihn, erklärte der BFH.
Das Bundesverfassungsgericht hatte das Erbschaftssteuergesetz schon 2006 für verfassungswidrig erklärt und eine Neuregelung bis 2009 gefordert, weil das umstrittene Gesetz Immobilien und Betriebsvermögen zu niedrig bewertet hatte. Bund und Länder hatten Ende 2008 die Neuregelung verabschiedet. Die Erbschaftsteuer - zwischen vier und fünf Milliarden Euro pro Jahr - fließt den Ländern zu.
Rechtsanwälte und Steuerberater machen Erben aber wenig Hoffnung auf Steuerrückerstattung vom Fiskus. Schon 2006 habe Karlsruhe das verfassungswidrige Gesetz bis zur Neuregelung in Kraft gelassen, um Haushaltslöcher zu vermeiden, erklärte der Präsident des Berufsverbandes Deutsches Forum für Erbrecht, Anton Steiner, in München.
Erben könnten ihren Steuerbescheid jetzt mit einem Einspruch unter Hinweis auf den Bundesfinanzhof offen halten. Zu erwarten sei, dass die Finanzämter demnächst die Steuerbescheide von sich aus unter Vorbehalt stellen, um eine Flut von Einsprüchen zu vermeiden.
Das Forum für Erbrecht begrüßte die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, weil die heutige Besteuerung sehr ungerecht sei. Zum Beispiel könnten 300 Wohnungen als Wohnungsunternehmen völlig steuerfrei vererbt werden, aber der Erbe einer einzigen Wohnung werde besteuert. »Wer 100 Millionen Euro Betriebsvermögen erbt, kann doch ohne Probleme die Erbschaftsteuer aufbringen«, sagte Steiner. Weil der Fiskus Einnahmen brauche, bedeute die Steuerbefreiung des einen immer höhere Steuern für die anderen. Das Verfassungsgericht werde den Gesetzgeber hoffentlich zu einer Korrektur zwingen.
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