Ein Fest gegen die Bosheit
Taner Akyols Kindermusiktheater »Ali Baba und die 40 Räuber« in der Komischen Oper Berlin
Wer kennt ihn nicht, den so vorsichtigen wie tapferen Ali Baba, der mit seiner Sippe und Volkes Macht am Ende den Sieg über die Räuber feiert. Zuerst aber ruft ein gewaltiger Bass von der Präsidentenloge zum Basar. Da hängen Tücher, Taschen, Unterhosen, Büstenhalter, Schmuck und Spielzeug an Strippen bis in die obersten Luken. Querbeet ihre Ware feilbietende, bunt kostümierte Weibs- und Mannsbilder. Kindsvolk lacht, tobt, singt. Im Gewirr vorderasiatische Händler, Ausrufer, alter Mann mit Turban und langem Bart, Musikanten. Saftige Bilder, wie sie die Oper liebt. Kommt, kauft, handelt rauf, runter, lacht, genießt, labet euch an den Früchten, befühlt die Kleider, zählt achtsam das Geld! Hier ist das Leben. Genau wie es Kinder mögen. So hebt die Oper des in Berlin lebenden türkischen Komponisten Taner Akyol an.
Es ist mehr als löblich, jährlich im Herbst eine Kinderoper zu inszenieren. Die Komische Oper tut das. Freilich treibt sie dergleichen nicht einfach, damit die jungen Erdenbürger in dem hehren Haus ihre Kurzweil haben. Sie macht das aus Selbsterhaltungstrieb. Oper soll eine Zukunft haben. Und ohne Publikum oder mit einem Rest festgelegter, engherziger Zuschauer ist Zukunft nicht zu haben. Folglich gilt es, früh anzufangen mit der Heranbildung und sich bei den Angeboten für Kinder besonders anzustrengen. Die glatte, bunt-faulige, gegen alle humane Entfaltung der Sinne gerichtete Kultur, deren Agenten in jeder Sekunde suggerieren, den Mist auch noch zu kaufen, die hat längst die Seelen noch der Kleinsten erreicht. Gegen diesen Müll ist kein Kraut gewachsen. Aber es klappt allemal, Anderes dagegenzusetzen, wie es auch aussehen mag. Hunderte Beispiele belegen es. Viel ist schon erreicht, bildet die Bühne mit ihren Mitteln die Fantasie und lässt den Verstand nicht leer laufen.
Der Uraufführung gelang das hinlänglich. Opulent die Musik so sehr wie die Bühne. Ein bisschen laut der zweistündige Ablauf vielleicht. Aber die eigenen Ohren sind kein Gradmesser. Junge Seelen entzückt das offensichtlich. Sie wünschen die Aktion. Krakeelt die Musik, rattert, schnieft und flicht obendrein blutvolle Rhythmen ein, umso besser. Gekommen waren Vier- bis Vierzehnjährige, die meisten mit ihren Eltern. Zahlreiche Türken darunter. Ulkig vielfach ihre Kleidung. Manches Mädchen tändelte ganz in Schwarz vor den dunkel getönten Spiegeln im Foyer, andere Körper schmückten weiße Kleidchen, die wie Brautkleider aussahen.
»Ali Baba und die 40 Räuber« aus »1001 Nacht« als Oper bietet die Geschichte handfest, ohne viel Federlesen. Manch poetische Wendung der Erzählung musste wohl auf der Strecke bleiben (Libretto: Cetin Ipekkaya und Marietta Rohrer-Ipekkaya). Modern durchaus Taner Akyols Partitur. Kindlichen Ansprüchen genügt sie und strebt darüber hinaus, will also auch Neugier auf unbekannte Klänge wecken. Stark präsent ist percussives Material - immer mal wieder kracht Trommelschlag in die Szenerie -, einhergehend mit seriellen Optionen und Gebrauchsweisen heimatlicher Idiome. Wenn Letztere auftreten, dann geht es rasant-volkstümlich zu auf der Bühne.
Matthias David inszenierte zurecht zweisprachig. Dirigentin des Orchesters der Komischen Oper ist mit großer Übersicht Kristiina Poska. Gesungen und gesprochen wird türkisch und deutsch.
Zankpunkt ist bekanntlich das Goldversteck der Räuber vor dem Felsen im Wald. Zackig der Abzählreigen, pantomimisch die Reitattacken dieser dunklen, mit Pappmessern bewaffneten bösen Schar. Gut und Böse sind klar aufgeteilt. Aber unter den Guten befinden sich selbstredend die nicht so Guten oder gar Schlechten, raffgierige, dem Golde verfallene Mitmenschen. Wie Kasim (Stefan Sevenich) und sein Weib Rosa Ayse. Die singen dann auch in den verquersten Lagen. Rosa, glänzend verkörpert durch Caren van Oijen, erweist sich als reiches, geldgeiles, Intrigen ausheckendes Weib. Kasim, Bruder Alibabas, vergisst das »Sesam, tu dich auf« und endet, von den Räubern gevierteilt, als vom alten Schneider zusammengeflickter Leichnam im Grab der Familie.
Anmutig die Geschichte der Liebe zwischen Ali Babas Sohn Vehbi (Tansel Akzeybek) und Sirin, der Sklavin im Hause von Kasim und Rosa. Einzig Sirin, leidenschaftlich ihr Gesang (Ariana Strahl), erliegt den Goldversuchungen nicht. Sie trachtet nach Befreiung. Jubelndes Volk macht die Sklavin zum Menschen. Abgründig die Rolle des Schneiders (Manfred Sabrowski). Der näht die Plünnen Kasims, des Gevierteilten, zusammen, damit der wie ein anständiger Leichnam ausschaut. Natürlich ist er käuflich, zweifach, dreifach, und Zuträger obendrein.
Präsent häufig genug Aktionen der Kinder, selbst unter den Räubern singen sie (Kinderchor der Komischen Oper). Nicht zuletzt der Esel, Ali Babas Zugtier beim Reisigsammeln (in der Erzählung hat er drei Esel). Er ist auf der Bühne derjenige, der immer »I Ah, Ah I« schreit (Daniel Drewes), ein Sancho Pansa oder Narr des Ali Baba, den seinerseits Jens Larsen so schlicht wie heldenposenhaft singt. Die Pirouetten und Fiorituren des Esels Karakacan erheischten den meisten Beifall. Volk zerrt schließlich die Räuber aus ihren Plastiktonnen und beschämt sie. Zuguterletzt feiert die Menge ein Fest wider die Bosheit.
Die Anwesenden, so schien es, hatten ihre helle Freude.
Nächste Vorstellung: 8.11.
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