Kinderschutz nach Personallage
Drama in Segeberg offenbart schwere Defizite
Das Datum 13. Juni ist womöglich eine Zäsur für den Kindesschutz in Schleswig-Holstein. Die Befreiung eines verwahrlosten Dreijährigen aus einem verdreckten Keller in Bad Segeberg an diesem Tag hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Behörden, Kommunal- und Landespolitik haben die nachträglich zu Tage getretenen gravierenden Versäumnisse bis heute noch nicht endgültig aufgearbeitet.
Konnten die Verantwortlichen der Kreisjugendbehörde anfangs keine Fehler in ihren Reihen feststellen, ergab zusammengetragene Informationen allmählich ein anderes Bild. Aus dem Kreistag, politische Aufsicht über Verwaltung und Behörden, wurden kritische Fragen gestellt, doch die Antworten waren unbefriedigend oder ließen auf sich warten. Daraufhin geriet die SPD-Landrätin Jutta Hartwieg in die Schusslinie.
Mantel des Verschweigens
Schließlich wurde der Soziologe Reinhart Wolff als Gutachter beauftragt, eine Fallanalyse zu erstellen. Schlussendlich entlastete er das Segeberger Jugendamt, listete aber dennoch schonungslos etliche Versäumnisse und Schwachstellen auf. Mit vielen geschwärzten Passagen hat Hartwieg die Expertise dann den Kreispolitikern vorgelegt; aus Datenschutzgründen nicht in der kompletten Fassung, wie sie sagte. Als dann doch das ungeschwärzte Gutachten publik wurde, war erkennbar, dass nicht nur datenschutzrelevante Passagen, sondern auch brisante Aussagen über die Jugendamtsarbeit unter Verschluss gehalten werden sollten. Durch die Öffentlichkeit in die Enge getrieben, gab Hartwieg in der Vorwoche zu, dass Fehler gemacht wurden. Der Vorfall soll jetzt unter Obhut des SPD-geführten Sozialministeriums für ein landesweit aufklärendes Lehrbeispiel herhalten.
Nur Spitze eines Eisbergs
Unterdessen werden auch Stimmen aus anderen und über andere Jugendbehörden laut, die über Arbeitsüberlastung klagen. Der Segeberger Fall war offenbar nur die Spitze eines Eisberges. Die Qualität des Kinderschutzes hat offenkundig mit der personellen Ausstattung vor Ort zu tun, und die wiederum geschieht nach Kassenlage. Günter Ernst-Basten, Kopf des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Schleswig-Holstein, kritisiert die Praxis, dass immer mehr behördliche Betreuungs- und Beaufsichtigungsaufgaben an fremde Honorarkräfte ausgelagert werden, die oft nicht über die nötigen professionellen Kenntnisse verfügen und mit Dumpinglöhnen abgespeist werden, was die Attraktivität der Arbeit langfristig beeinträchtigt. Denn beim Auslagern von Tätigkeiten an freie Träger bekomme häufig der den Zuschlag, der das kostengünstigste Angebot abliefere, hat auch die Landespastorin Petra Thobaben vom Diakonischen Werk beobachtet.
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