Die Wut wächst

Portugal streikt, doch auf konkrete Veränderungen hoffen nur wenige

  • Dominic Heilig, Lissabon
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Thema »Europäischer Generalstreik« bestimmt seit Tagen die Schlagzeilen der Zeitungen und des portugiesischen Fernsehens. Eilig werden Listen von Metrostationen und Krankenhäusern veröffentlicht, die am 14. November noch geöffnet sind oder einen Notdienst anbieten. An einen durchschlagenden Erfolg des Streiks glauben indes nur Wenige in Portugal.

Die Vorboten des Generalstreiks in Portugal waren in den letzten Tagen nicht zu übersehen. Im Barrio Alto, dem berüchtigten Partyviertel der Hauptstadt Lissabon, sind zahlreiche Häuserfassaden mit Graffiti »verschönert« worden. Geworben wurde von linken, meist nur sehr kleinen Parteien und Organisationen für die jeweils eigene Demonstration. Über den Magistralen der Stadt und an großen Plätzen prangen die Banner des Gewerkschaftsdachverbands CGTP. Auch die Gewerkschaften riefen landesweit zu verschiedenen Kundgebungen auf. Die größte sollte in Lissabon, am »Rossio«, am frühen Nachmittag stattfinden.

Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Montag die Gemüter, vor allem in den Medien, noch einmal erhitzt. An den geplanten Protestkundgebungen gegenüber dem weiträumig abgesperrten Tagungsort nahmen zwar weniger Menschen als erwartet teil, dennoch war der Unmut über den Kurzbesuch der Kanzlerin im gesamten Land zu spüren. Und so hat selbst die Regierungschefin aus Berlin zur Mobilisierung der Bevölkerung für den Generalstreik beigetragen.

In der vergangenen Woche hatten erstmals seit Jahren wieder Polizisten in Lissabon gegen Stellen- und Lohnkürzungen demonstriert. Am vergangenen Wochenende zogen mehrere tausend Militärangehörige schweigend durch die Innenstadt. Militärs und Polizisten werden wohl auch heute wieder auf der Straße sein. Ebenso wie das Personal der städtischen Krankenhäuser, die Angestellten des Flughafens und des Nahverkehrs. Auch die Angestellten der Stadtwerke und der Müllabfuhr werden kaum einen Finger krumm machen.

Doch längst nicht alle Portugiesen sind begeistert vom Generalstreik. Wie Joao aus dem Norden des Landes, nahe der Stadt Braga. Vor einigen Jahren war er noch für ein staatliches Unternehmen tätig. Der Job ist weg und nun ist er zurück bei seinem Vater, der Olivenhaine bewirtschaftet und mühevoll Öl produziert. Es ist einer der klassischen Kleinbetriebe in Familienhand. Joao, selbst Vater von zwei Kindern, blickt pessimistisch in die Zukunft und auf den Nutzen des Streiks: »Natürlich ist es wichtig, gegen die Kürzungsarien der Regierung zu demonstrieren. Doch bei uns hier auf dem Lande wird sich das niemand leisten können. Entweder arbeitet man in einem Familienbetrieb oder für die Großen. Und die zögern nicht einen Moment und feuern dich, wenn du mal nicht zur Arbeit kommst.«

Portugal ist geteilt. Zwischen Nord und Süd, zwischen Links und Rechts, zwischen Arm und Reich, zwischen Angestellten im kleiner werdenden öffentlichen Dienst und jenen, die in der Privatwirtschaft tätig sind. Letztere werden kaum streiken.

Miguel geht zum Streik. Und das, obwohl er quasi keine Anstellung mehr hat. Er ist Anfang 30 und Sportlehrer. Nach seinem Studium wollte er Kinder unterrichten. Die Möglichkeit bekam er aber nie. Er verdingte sich als Vertretungslehrer. »Mein Einkommen richtete sich danach, wie viele Vertretungsstunden ich in der Woche gab. Bei 22 Unterrichtsstunden erhielt ich am Ende des Monats rund 1300 Euro. Dann kamen noch die steuerlichen Abzüge.« Mit den Kürzungen im Bildungswesen wurden im letzten Jahr viele Schulklassen zusammengelegt. Das hinterlässt Spuren, auch für Aushilfslehrer wie Miguel: »Sie rufen einfach nicht mehr an, um mich anzufordern. So komme ich nicht auf meine Stunden und damit nicht auf mein geringes Gehalt.« So wie ihm erging es knapp 10 000 Lehrern in den letzten zwei Jahren.

Die Tatsache, dass es sich bei diesem Generalstreik um einen europaweiten handelt, hat Ana zur Teilnahme veranlasst. Sie ist Übersetzerin und hangelt sich von Auftrag zu Auftrag. »Eigentlich müsste ich mich heute um Aufträge bemühen. Ich will aber die Griechen, Italiener und Spanier nicht alleine lassen und zeigen, dass wir an ihrer Seite sind. So wie sie an unserer stehen.«

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