Politischer Streik muss warten

Kaum Debatte ums Streikrecht / In einzelnen Gewerkschaften gibt es dazu Beschlüsse, aber auch wichtigere Themen

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.
Fast nirgendwo wird so wenig gestreikt wie in Deutschland - wegen oder trotz des hiesigen Streikrechts. Der politische Streik bleibt wohl fürs Erste Zukunftsmusik.

Während in Südeuropa vermutlich Hunderttausende im Rahmen der heutigen Generalstreiks auf die Straße gehen werden, findet auch in Deutschland Protest statt - Solidaritätsveranstaltungen, nach der Arbeit. Die Arbeitsniederlegungen heute haben zum Ziel, Regierungshandeln zu beeinflussen, es sind politische Streiks, keine Arbeitskämpfe in dem Sinne. Und politische Streiks sind in Deutschland verboten.

In keinem anderen Land ist das Streikrecht so restriktiv wie in Deutschland, obwohl hierzulande im Vergleich kaum gestreikt wird. So fielen nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) zwischen 2000 und 2007 im Schnitt fünf Arbeitstage pro Jahr aufgrund von Streiks ins Wasser. Beispielsweise in Frankreich waren es 103, in Spanien gar 173.

Zwar sind Koalitionsfreiheit und Streikrecht grundgesetzlich verankert, konkret aber nur »als Mittel zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen«, wie es in einem Text des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von 2007 heißt. In dem Papier analysiert die Autorin den Stand der Rechtsprechung zum Thema. Streiks müssen demnach »verhältnismäßig« sein, dürfen Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht betreffen. Überdies kann das Streikrecht bei »erheblicher Betroffenheit der Allgemeinheit« eingeschränkt werden. Nur im Rahmen des Widerstandsrechts darf der politische Streik als Mittel zum Einsatz kommen.

Zwar haben die Bau- und Agrargewerkschaft IG BAU und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf ihren letzten Bundeskongressen Beschlüsse zum politischen Streik gefasst. Großes Thema ist er in den beiden Gewerkschaften indes nicht.

»Die Sicherung vor Altersarmut ist bis in die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2013 unser Schwerpunkt.« Das binde viele Kräfte, sagt Ruprecht Hammerschmidt, Sprecher der IG BAU auf nd-Anfrage. Überdies dürfte das Streikthema auch den IG-BAU-Mitgliedern nicht so auf den Nägeln wie andere, weil sie von der Krise nicht in dem Maße betroffen sind wie andere Branchen.

Ver.di hatte auf dem Bundeskongress mehrere Anträge mit dem Ergebnis beschlossen, dass man den politischen Streik letztlich durchsetzen und das Thema dafür in einer breiten gesellschaftlichen Debatte etablieren wolle - ähnlich wie beim gesetzlichen Mindestlohn, den die Gewerkschaft zehn Jahre lang beharrlich beackert hat. Die Debatte um den politischen Streik »ist vor dem Hintergrund der europäischen Auseinandersetzungen dringlich, aber derzeit von den Krisenfolgen überlagert«, sagte Sprecher Jan Jurczyk. Es gehe jetzt darum, überhaupt die gesellschaftliche Deutungshoheit darüber zu erlangen, »was hier eigentlich geschieht«.

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