Fragwürdige Patentlösung

  • Wolfgang Neef
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Ende des Industriezeitalters und damit des ständigen Wachstums des Energie- und Materialverbrauchs sowie des Mülls, den dieses Industriezeitalter hinterlässt, wird uns langsam bewusst. Wir haben die Szenarien der Klimaforscher oder die Ergebnisse der »Living Planet Reports« des World Wide Fund For Nature zur Kenntnis genommen und suchen jetzt den Ausweg. Diejenigen, die sich ein Ende des Kapitalismus mit seinem Wachstumszwang nicht vorstellen können oder wollen, sehen ihn in einer Reihe von technischen Großprojekten als Patentlösungen, die die physikalisch-biologische Endlichkeit der verfügbaren Ressourcen auf dem Planeten aufheben und die Natur überlisten sollen.

Eines dieser Projekte firmiert unter dem Namen Desertec und verspricht, für Europa und großzügigerweise auch die Anrainerstaaten der Sahara, die Sonneneinstrahlung in elektrischen Strom im Überfluss umzuwandeln. In der Tat kann man ausrechnen, dass die auf dieser Fläche ankommende Sonnenenergie locker ausreichen würde, um die bisher aus fossilen Quellen stammende Energie zu ersetzen. Das muss dann »nur noch« technisch realisiert werden. Und da liegt zunächst einmal der Hase im Pfeffer, wie man unter anderem an der Geschichte der Atomkraft und der Kernfusionsträume sehen kann.

Denn die Realisierung derart riesiger Anlagen braucht jede Menge fossiler Energie, die die CO2-Emissionen, die ohnehin durch das globale Wachstum ständig weiter steigen, hoch treiben - von anderen Ressourcen wie Wasser (in der Wüste!) oder »Seltenen Erden« mal abgesehen, die dafür gebraucht werden. Letztere verursachen in den Regionen, in denen sie aus der Erde geholt werden, unglaubliche Umweltschäden - von den sozialen Brutalitäten der Schürfprozesse abgesehen. Und: Wie bei allen technischen Großprojekten müssen eine Reihe von technischen Voraussetzungen geschaffen werden, von denen wir nicht wissen, ob und wann sie in diesem Maßstab überhaupt funktionieren werden.

Die Erfahrungen mit technischen Kraftakten sind eher schlecht: So endete der Versuch der Industrie in den 1980er Jahren, eine Riesen-Windkraftanlage namens »Growian« aus dem Boden zu stampfen, kläglich. Die Windkraft wurde damals von kleinen, gar nicht kapitalistisch organisierten Ingenieur-Kollektiven ganz ohne »Investoren« entwickelt und brauchte einen langen Entwicklungs- und Hochskalierungsprozess bis zu den erfolgreichen Großanlagen heute.

Wichtiger als diese eher ingenieurmäßig-professionellen Argumente aber ist das grundsätzliche Problem, dass Desertec den Wachstumswahn, der nach allem, was wir wissen, schon in 20 bis 30 Jahren ökologische Katastrophen zur Folge haben wird, weiter anheizen und legitimieren wird. Wir müssen, wie wir aus zuverlässigen naturwissenschaftlichen Daten wissen, bis zum Jahr 2050 den Energie- und Ressourcenaufwand in den Industrienationen auf ein Zehntel zurückfahren, um den Ländern, die heute unter Klimawandel, Müllbergen und Wassermangel zunehmend leiden, eine Chance eigener Entwicklung zu geben, die nicht dem Pfad der »alten« Industrienationen folgt.

Desertec aber soll Europa weiteres Wachstum, mindestens das gleiche Niveau des Energieverbrauchs auf Dauer ermöglichen. Selbst wenn man unrealistischerweise annimmt, dass die in das Projekt investierten energetischen und stofflichen Ressourcen sich schon in wenigen Jahren amortisieren und damit die Sonnenenergie halbwegs ökologisch gewandelt wird: Wenn in diesem Zeitraum nicht die gleiche Menge fossiler Kraftwerksanlagen stillgelegt wird (was mit Sicherheit nicht passiert), hat das Projekt nur zur Folge, dass die Unmenge technischer Spielzeuge weiter wächst, die uns heute die Öko-Bilanz verhageln, aber die Renditen nach oben treiben.

Die Technik spielt seit Beginn des Industriezeitalters die Rolle, den Wachstumsimperativ des Kapitalismus in konkrete Artefakte umzusetzen, die den materiellen »Wohlstand« der Menschen ständig steigern sollen, damit das »gute Leben« für alle ermöglicht und dieses Wirtschaftssystem legitimiert wird. Nur so lange wir ständige Innovationen hervorbringen, so der Ökonom Joseph Schumpeter, wird der Kapitalismus florieren - und das ist Aufgabe der Ingenieure. Entwicklung, Produktion und Konsum dieser Innovationen halten das kapitalistische Hamsterrad am laufen, dessen einziger Sinn in den Industrienationen inzwischen nur noch die Vermehrung von Geld ist: Mehr Arbeit, um mehr konsumieren zu können, und mehr Konsum, um Arbeit zu haben.

Desertec ist das Versprechen, das Atom- und Fusionsenergie nicht einlösen konnten: Das dafür erforderliche »perpetuum mobile« bald zu liefern. Resultat: Diese soziale und ökologische Verschleißwirtschaft hat noch ein paar Jahre mehr, bevor sie auf den Müllhaufen der Geschichte wandert.

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