Die folgsame Basis
Die Grünen feiern beim Bundesparteitag ihre Spitzenpolitiker und sich selbst
Ein Hauch von US-Wahlkampf ist in der Hannoveraner Eilenriedehalle zu spüren. Musik wird eingespielt. Die etwa 800 Delegierten stehen auf und jubeln. Auf dem Podium schunkeln im grünen Licht die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin. Grüne Schals werden hochgehalten, auf denen »Grün gewinnt« steht.
Die Partei präsentierte sich zum Auftakt ihrer dreitägigen Bundesdelegiertenkonferenz am Freitag emotional und vermeintlich modern. Das Selbstbewusstsein kommt nicht von Ungefähr. Immerhin wachsen die Grünen im Unterschied zu den meisten anderen Parteien und haben durchaus Chancen, nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr wieder mitregieren zu dürfen. »Aber nicht mit der Union«, wiederholen neben Fraktionschef Trittin auch Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir in ihren Reden immer wieder. Sie kämpfen dabei gegen ihr eigenes Image. Seit Jahren werden die Realos Göring-Eckardt und Özdemir verdächtigt, Türöffner für Schwarz-Grün sein zu können. Doch davon wollen sie – jedenfalls im Moment – nichts wissen.
Insgesamt ist es ein erfolgreicher Parteitag für die grüne Spitzenmannschaft. In der sozialpolitischen Debatte setzt sich der Vorstand mit seinem Antrag durch. Die heftigste Auseinandersetzung gibt es über der Frage, ob die Sanktionen gegen Hartz-IV-Betroffene beendet oder ausgesetzt werden sollen. »Das Moratorium ist die beste Antwort. Eine Kürzung von bis zu 100 Prozent der Leistungen geht nicht, aber es geht auch nicht, dass jemand seine Weiterbildung beim Jobcenter versäumt«, ruft der Bremer Staatsrat Horst Frehe, der für den entsprechenden Antrag des Vorstands plädiert. Die von den nordrhein-westfälischen Grünen geforderte Abschaffung der Sanktionen wird von den Delegierten abgelehnt. Sichtlich enttäuscht über das Abstimmungsergebnis zeigt sich Robert Zion vom NRW-Landesvorstand gegenüber »nd«. »Die Sanktionen haben keine Auswirkungen auf die Langzeitarbeitslosigkeit«, kritisiert er. Das Signal, welches von dieser Entscheidung ausgehe, sei zumindest unglücklich. »Besonders bei uns im Ruhrgebiet haben wir mit sozialen Problemen zu kämpfen«, merkt der Gelsenkirchener an.
In der Sozialpolitik setzt der Bundesvorstand auf ein paar kleine Veränderungen. Eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 420 Euro wird zumindest mittelfristig in Aussicht gestellt. Im Einklang mit ihrem Wunschkoalitionspartner SPD wollen die Grünen einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Menschen mit mindestens 30 Versicherungsjahren würden nach ihrem Willen eine steuerfinanzierte Garantierente über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau erhalten. Die Partei bekennt sich allerdings zur Rente mit 67 und will notwendige »Voraussetzungen« hierfür schaffen. Annelie Buntenbach, die Grünen-Mitglied ist und im DGB-Vorstand sitzt, ist davon nicht sonderlich begeistert. »Die Rente mit 67 muss zumindest ausgesetzt werden«, fordert sie in ihrer Gastrede.
Doch solche Misstöne stören die meisten Grünen nicht sonderlich. Sie wollen vielmehr sich selbst und ihre Spitzenpolitiker feiern. Als bei den Vorstandswahlen das Ergebnis von 88,49 Prozent für Parteichefin Claudia Roth veröffentlicht wird, reagieren die Delegierten mit minutenlangen stehenden Ovationen. »Die Trauerzeit ist vorbei«, verkündet die Vorsitzende, die sich am Vortag noch ganz in Schwarz gekleidet hatte und nun ein helleres Outfit trägt. Ihre Trauer rührte daher, dass sie bei der Spitzenkandidaten-Urwahl deutlich verloren hatte. Fragen über die Ursachen ihrer Niederlage werden mit Roths Wiederwahl und dem Trost der Delegierten beiseite gewischt. Der Ko-Vorsitzende Cem Özdemir erhält mit 83,29 Prozent der Stimmen bei seiner Wiederwahl ebenfalls ein gutes Ergebnis.
Weit weniger mediale Beachtung erhält die Entscheidung der Grünen am Freitagabend zur sogenannten Schutzverantwortung. Bei drohenden Bürgerkriegen wollen sie zunächst präventiv handeln. Aber auch Militäreinsätze »zum Schutz der Menschenrechte« werden nicht ausgeschlossen. Die Partei will sich künftig dafür einsetzen, dass die UN-Generalversammlung mit qualifizierter Mehrheit über das Vorgehen entscheiden kann, wenn der Sicherheitsrat blockiert ist. »Es kann Situationen geben, in denen ein militärisches Eingreifen das kleinere Übel ist«, sagt Bundestagsfraktionsvize Frithjof Schmidt. Diese Grundsatzdebatte sei schon seit Beginn der 90er Jahre in der Partei immer wieder heftig geführt worden. »Nun gibt es eine Stufe der Gemeinsamkeit«, erklärt Schmidt. In der Halle regt sich kaum Widerspruch. Zu dieser späten Stunde liest so manches Basismitglied Zeitung, unterhält sich oder schreibt eine Nachricht mit dem Mobiltelefon. Zumindest parteiintern sind die Grünen friedlicher geworden.
Zentrale Beschlüsse
HARTZ IV:
Der Satz soll von 374 auf 420 Euro steigen. Die Aufstockung soll an die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns geknüpft werden. Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher sollen auf Zeit ausgesetzt werden.
MINDESTLOHN:
Der gesetzliche Mindestlohn soll 8,50 Euro pro Stunde betragen.
STEUERN:
Der Spitzensteuersatz soll von 42 auf 49 Prozent für Einkommen ab 80 000 Euro pro Jahr steigen. Die Grünen wollen zudem eine Vermögensabgabe von 1,5 Prozent.
RENTE:
Am Anstieg der Renteneintrittsgrenze auf 67 Jahre hält die Partei fest. Das Rentenniveau von 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoverdienstes soll nicht deutlich sinken. Die Grünen wollen zudem ähnlich wie die SPD eine steuerfinanzierte Garantierente von rund 850 Euro.
BÜRGERVERSICHERUNG:
Auch Gutverdiener, Selbstständige und Beamte sollen in eine Krankenversicherung für alle einbezogen werden.
ENERGIESPARFONDS:
Einkommensschwache sollen mit drei Milliarden Euro pro Jahr bei Gebäudesanierung und Energiesparen gefördert werden.
GORLEBEN:
Der Salzstock bleibt bei einer neuen Atommüll-Endlagersuche im Rennen – aber die Suchkriterien sollen so gestaltet werden, dass Gorleben im Vergleich mit anderen Optionen rasch herausfallen kann.
KOHLEAUSSTIEG:
Die Grünen wollen bereits bis zum Jahr 2030 eine 100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien. Eine höhere Besteuerung von Braun- und Steinkohle soll geprüft werden.
UN-MILITÄREINSÄTZE:
Neben dem Sicherheitsrat soll künftig auch die UN-Generalversammlung mit Zwei-Drittel-Mehrheit Militäreinsätze beschließen können. (dpa/nd)
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