»Mein Sohn ist auch beruhigt«
In Frankfurt am Main wird ein Hausnotruf auf Türkisch angeboten
Frankfurt am Main (dpa/nd). Hatice Özdemir lebt seit mehr als 40 Jahren in Deutschland und kann sich einigermaßen auf Deutsch verständigen. Aber im Notfall? Sie kennt viele Türken in Frankfurt am Main, die gar kein Deutsch sprechen. Mit dem Hausnotruf auf Türkisch fühlt sie sich in ihrer Wohnung viel sicherer. Der 70-jährige Mustafa Agcadag freut sich ebenfalls, dass er jetzt im Notfall über ein Rufgerät genau schildern kann, wo sein Problem liegt - und er sich so ohne Sprachbarriere passender Hilfe gewiss sein kann.
Özdemir und Agcadag gehören zu den 50 Haushalten türkisch sprechender Menschen in Frankfurt, die bei dem Modellprojekt mitgemacht haben. Jetzt soll dieses Angebot ausgebaut werden: Aus Berlin und aus dem Ruhrgebiet gebe es bereits Interesse, berichtet der Geschäftsführer des Frankfurter Verbandes für Alten- und Behindertenhilfe, Frédéric Lauscher. Das Potenzial dafür ist groß: Von den rund 1,6 Millionen Türken in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt etwa 194 000 über 65 Jahre alt. Der Verband bietet bundesweit derzeit rund 25 000 Hausnotrufanschlüsse an.
Wenn es in der Frankfurter Zentrale auf dem Bildschirm in der Farbe Lila blinkt, geht zum Beispiel der 30-Jährige Ferhat Yilmaz dran. Die Farbe verrät den Mitarbeitern in der Notrufzentrale, dass ein türkisch sprechender Mensch Hilfe braucht. Dann geht die Hilfskette los: Je nachdem, was passiert ist, werden ein Rettungswagen oder die Feuerwehr gerufen oder Mitarbeiter des Verbands in die Wohnung des Hilferufenden geschickt. Bei der Zentrale sind alle wichtigen Informationen zu jedem einzelnen Notruf-Teilnehmer gespeichert und erscheinen dort bei einem Notruf auf dem Bildschirm. Risikofaktoren wie etwa eine bestehende Diabetes, ein zurückliegender Infarkt oder ähnliches ebenso wie die Adresse und Telefonnummer des Hausarztes.
»Die meisten Notrufe kommen, weil jemand gestürzt ist«, berichtet die Leiterin des Hausnotrufs, Mehtap Duru. Manchmal melden sich aber auch Nachbarn und Verwandte, weil sie sich Sorgen machen. »Die echten Notrufe sind nur ein Bruchteil«, ergänzt Lauscher. Oft kämen auch »soziale Rufe zu Fragen, die allein stehende ältere Menschen nicht mehr so einfach lösen können«.
»Alle Bürger wollen möglichst lange zu Hause wohnen bleiben«, sagt Frankfurts Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU), die zugleich Vorsitzende des Verbands ist. Von den rund 110 000 Frankfurtern über 65 Jahren hätten etwa 15 000 keinen deutschen Pass. Dazu kämen viele Eingebürgerte mit ausländischen Wurzeln. Ältere Zuwanderer beherrschten die deutsche Sprache oft nicht so gut - und gerade in Notsituationen könne es große Sprachprobleme geben. Der Frankfurter Verband helfe mit seinem neuen Angebot nun zunächst der größten Migrantengruppe, diese Barrieren zu überwinden.
Agcadag hat den Notruf in der Testphase schon einmal gebraucht: Der Rauchmelder ging los, weil etwas angebrannt war. Özdemir ist der Rauchmelder auch wichtig: »Falls ich mal was auf dem Herd vergessen sollte.« Das ganze System sei für sie ohnehin die Voraussetzung, weiter eigenständig leben zu können. »Und mein Sohn ist auch beruhigt.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!