Erfolgsdruck in der Hauptstadt

Hertha BSC hält mit dem 1:0 über St. Pauli Anschluss an die Tabellenspitze

Nach dem Abstieg aus der 1. Bundesliga ist für Hertha BSC der sofortige Wiederaufstieg nicht nur ein rein sportliches Ziel - sondern wirtschaftliche Notwendigkeit.

Marcel Ndjeng ließ ein wenig tiefer blicken. »Ein Remis oder eine Niederlage hätte unser ganzes Selbstvertrauen zerstören können«, gestand der Mittelfeldspieler von Hertha BSC nach dem 1:0 gegen den FC St. Pauli am Montagabend vor 39 000 Zuschauern im Olympiastadion. So aber feierte der Berliner Zweitligist nach dem späten Treffer von Ben Sahar in der 85. Minuten den achten Sieg und eroberte zum Abschluss des 14. Spieltags Platz zwei zurück.

Wie fragil das Berliner Erfolgsgebilde allerdings ist, beweist nicht nur die ehrliche Aussage von Ndjeng. Durch die Siege der Konkurrenten sei der Druck vor der Partie sehr groß gewesen, verriet Mittelfeldmann Peer Kluge. Entsprechend erleichtert konstatierte er: »Wir haben die Lücke nach oben geschlossen und den Abstand nach unten vergrößert.« Von unten schielen Verfolger wie Kaiserslautern oder Energie Cottbus auf die Aufstiegsplätze, ganz oben thront Eintracht Braunschweig mit fünf Punkten Vorsprung. Allesamt mögen das gleiche sportliche Ziel haben - die 1. Bundesliga. Doch nirgendwo ist der Erfolgsdruck so groß wie in der Hauptstadt, der Aufstieg ist hier wirtschaftliche Notwendigkeit.

»Wir wollen als Nummer eins in die Winterpause gehen«, hatte Hertha-Trainer Jos Luhukay vor drei Wochen scheinbar ohne Not ausgerufen und damit den Druck auf seine Spieler unnötig erhöht. Es folgte ein müdes 0:0 im Heimspiel gegen Ingolstadt. Ohne Not? Der Rechtevermarkter Sportfive sucht im Auftrag von Hertha BSC Sponsoren. Der für die Berliner zuständige Abteilungsleiter heißt Christian Jäger. Und der sagte jüngst, dass für anstehende Verhandlungen Tabellenplatz eins in der Winterpause hilfreich wäre. Neben dem Vertrag mit dem Hauptsponsor laufen vier weitere mit sogenannten Exklusivpartnern ebenfalls im Juni aus.

Neben der finanziell unsicheren Zukunft belastet auch die Vergangenheit den Verein. Der letzte offizielle Schuldenstand stammt vom Juni 2011: mehr als 34 Millionen Euro. Der neue wird am Montag auf der Mitgliederversammlung bekannt. Sicher ist: In dieser Saison kommt wieder ein Minus hinzu - Ausgaben von 45 Millionen Euro stehen optimistisch geplante Einnahmen von knapp 32 Millionen Euro gegenüber.

Schulden abzubauen ist für die Berliner in der 2. Liga nicht möglich. Um neue zu minimieren, müssten Spieler verkauft werden. Spieler wie Adrian Ramos. Hertha sei verhandlungsbereit, heißt es. Partien wie gegen St. Pauli sind das passende Schaufenster. Immer wieder setzten seine Mitspieler den Kolumbianer in Szene. 40 Pässe erreichten Herthas Sturmspitze. Vier aussichtsreiche Chancen hatte er, drei davon nach Flanken per Kopf. Insgesamt zielte er sechs Mal auf das gegnerische Tor, so oft wie kein anderer auf dem Platz. Auch als Vorbereiter und Ballverteiler zeigte Ramos sein überdurchschnittliches Potenzial. Mit seinem Verkauf würde Hertha etwas finanzielle Sicherheit gewinnen, aber auch viel sportliche Qualität verlieren. Und der Druck bleibt.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.