»Wir werden die Frankfurter Rundschau alimentieren«
Leo Fischer, Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic, über die Bedeutung der Frankfurter Rundschau, Hilfslieferungen und Hintergründe der Insolvenz
Fischer: Übernehmen können wir sie nicht, das geht ein bisschen über unsere finanziellen Möglichkeiten. Wir werden Stütz- und Hilfslieferungen an die »Frankfurter Rundschau« organisieren. Wir erwägen einige historische Rechtschreibfehler und Gedankenverbrechen, die wir hier in unseren Archiven lagern, der »Frankfurter Rundschau« zur Verfügung zu stellen, damit sie über den Winter kommt. Was weiter geht, ob eventuell die „Rundschau" uns ganz überschrieben wird, das bleibt abzuwarten. Da müssen wir noch mit dem Insolvenzverwalter reden.
So viel Solidarität mag manche Menschen überraschen. Eigentlich liegt der Gedanke nahe, fürs Satire-Geschäft wäre es lohnender, „FAZ" zu lesen.
Wir lesen ja grundsätzlich alles. Wir brauchen aber auch gerade die »Frankfurter Rundschau«. Wir haben eine sehr fruchtbare, langjährige Beziehung mit ihr. Einige der schönsten von uns dokumentierten Sprach- und Gedankenungeschicklichkeiten, die wir beispielsweise in den „Briefen an die Leser" dokumentieren konnten, waren in der »Frankfurter Rundschau«. Zum Beispiel der schöne Satz: »Schöner wie Max Goldt seziert niemand sprachliche Schlampereien...« - also „schöner wie". Das war einer der „Rundschau"-Sätze, den zu entdecken wir uns immer noch sehr freuen. Es gab auch eine längere Zusammenarbeit mit der »Frankfurter Rundschau«. Wir haben zum Beispiel gemeinsam eine Frittenbude gerettet, hier in Frankfurt, eine ausgezeichnete Lokalität, die zugunsten irgendwelcher Grün- und Parkflächen weichen sollte. »Titanic« kann also im Verein mit der »Frankfurter Rundschau« noch vieles bewirken.
Die Beziehung scheint mir über das Professionelle hinaus gegangen zu sein. Sie schrieben in Ihrer Online-Präsenz kürzlich in einem kleinen Gag wie zufällig von einer »kürzlich pleite gegangenen Lieblingstageszeitung«. Was soll das denn bedeuten?
Die »Frankfurter Rundschau« ist für uns natürlich noch immer sehr interessant, eine wichtige Lokalzeitung, die gut ist, wenn man sich über Ausgehtipps und Freizeitaktivitäten in der Region Frankfurt informieren will oder sich für die Google-Nachrichten des vergangenen Tages interessiert. Da ist die »Frankfurter Rundschau« immer noch sehr gut und solide. Vor allen Dingen aber sehen wir den Trend, der sich da abzeichnet, ein bisschen mit Besorgnis: Wenn es die »Frankfurter Rundschau« trifft, dann geht uns ein wichtiger Pointenlieferant verloren. Das wollen wir nicht, wir sind ja abhängig von diesen Zulieferbetrieben. Und wenn wir sie alimentieren müssen, dann werden wir das wohl tun.
Gerade das von Ihnen angesprochene Regionale soll die »Frankfurter Rundschau« vernachlässigt haben. Das soll auch einer der Gründe für das drohende Scheitern sein. Wie sehen Sie das? Und wird »Titanic«, wenn es irgendwann mal keine »FR« mehr gibt, vielleicht daraus seine Lehren ziehen und sich regionaler aufstellen?
Das glaube ich tatsächlich nicht. Wir haben hier immer mit sehr großem Vergnügen den Freizeitteil der »Frankfurter Rundschau« gelesen. Das war ein unglaubliches Sammelsurium von Meldungen: „Hund beißt Katze". Oder: „Großer Ausverkauf im Gartencenter." Ich glaube, das Regionale wurde durchaus nicht vernachlässigt. Wir von »Titanic« sind natürlich ein bundesweit operierendes Organ. Mit solchen lokalen Lappalien können wir uns nicht einlassen. Aber vielleicht kann die »Frankfurter Rundschau« noch kleinteiliger werden. Vielleicht kann sie sogar einzelne Haushalte mit Sonderlieferungen betreuen. So was wie eine Ernst-Müller-Zeitung wäre beispielsweise denkbar, also einzelne Frankfurter gezielt mit auf sie zugeschnittenen Beilagen anzusprechen. Das wäre, glaube ich, noch eine Lösung.
Vielleicht ist ja auch ein Zusammengehen denkbar von »Titanic« und »Frankfurter Rundschau«. Sie könnten zum Beispiel dieses unseriöse Hochglanzformat hinter sich lassen und sich demnächst auf seriösem dünnem Altpapier verbreiten, das einem noch beim Lesen die Druckerschwärze an den Fingern hinterlässt.
Das ist tatsächlich reizvoll, aber wir haben bereits das billigste Papier. Unser Druckhaus sagt mir immer, wenn ich mit ihm telefoniere, das sei das billigst denkbare Papier, das auch schön durchscheinend ist und sich bei Wasserkontakt auflöst. Ich glaube die »Frankfurter Rundschau« hat sehr viel Geld für Luxuspapier und solche Nichtigkeiten ausgegeben.
Eine solche Kooperation könnte ja alte Zeiten wieder aufleben lassen. Es gab ja schon in früheren Jahrzehnten eine gewisse Nähe von »Titanic« und »Frankfurter Rundschau«. Sie könnten zum Beispiel jetzt etwas gebären, das »Die allerneueste Frankfurter Schule« heißt, oder?
Es gab auch schon Frankfurter Sonderschulen und Frankfurter Hilfsschulen. Das ist sehr schwierig. Ich glaube nicht, dass wir das stemmen können, insbesondere all diese Altfälle, all diese Altmitarbeiter der »Frankfurter Rundschau«, die eigentlich nur noch ihre Schreibtische haben – die können wir hier ganz schlecht unterbringen. So gern wir sie haben, aber unsere Unterstützung wird ideeller und zwischenmenschlicher Natur sein.
»Titanic« ist ja auch ein Hintergrundmagazin...
Ja.
Lassen Sie uns mal hinter die Kulissen blicken. Wenige Wochen, nachdem Peer Steinbrück verkündet Bundeskanzler werden zu wollen, stellt eine der wenigen Zeitungen einen Insolvenz-Antrag, die ihm da gefährlich werden könnten – und bei der eine SPD-Holding 40 Prozent der Anteile hat. Ein Zufall?
Den Zusammenhang habe ich bisher noch nicht gesehen.
Die „Süddeutsche" hat Steinbrück sowieso auf seiner Seite und »taz« und »nd« sind für seine Klientel unerheblich. Die »Frankfurter Rundschau« bedient einen großen Teil des Milieus, auf das er abzielt, hat aber eine deutlich sozialdemokratische Ausrichtung – und genau davon will Steinbrück sich ja lösen.
Wenn das stimmen sollte, dann wird die SPD natürlich unter Steinbrück nach und nach alle ihre Kernkompetenzen abwerfen. Vielleicht auch den »Vorwärts« einstellen. Das würde ich nur begrüßen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.