Geschäft mit der Angst junger Lehrer

Versicherung bietet in Frankreich spezielle Policen für den neuen Risikoberuf an

  • Andrea Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Immer mehr französische Lehrer schließen Zusatzversicherungen ab, um sich vor Gewalttaten zu schützen.

Sie störte den Französisch-Unterricht. Die Lehrerin bat sie um ihr Hausaufgabenheft, um dort eine Bemerkung für die Eltern zu hinterlassen. Daraufhin schlug ihr die 14-jährige Schülerin den Ellbogen ins Gesicht. Der Arzt bescheinigte der Lehrerin zwei Tage Arbeitsunfähigkeit.

Nachrichten wie diese aus dem südfranzösischen Departement Var gehören fast schon zum Schulalltag. Allein zwischen Anfang September und Ende Oktober wurden mehr als 30 gegen Lehrer gerichtete Aggressionen gemeldet. Dabei sind es nicht immer nur Schüler, die mit Gewalt auf Autorität reagieren. In zahlreichen Fällen waren es Eltern von Grundschülern, die die Bestrafung ihrer Sprösslinge nicht verkraftet haben und deshalb handgreiflich wurden. Die Figur des Lehrers scheint sich in den letzten Jahren von der einstigen Autoritätsperson hin zum schlichten Dienstleister für den Kunden Schüler gewandelt zu haben. Auch ein Mangel an Dialog hat zu der Entfremdung beigetragen.

Die offizielle Statistik weist zwar nur eine »leichte Zunahme« von 2011 bis 2012 aus. Da jedoch jeder Schuldirektor frei entscheiden kann, welche Vorfälle er weitermeldet und Lehrer selbst nicht befragt werden, sagen die Zahlen nur wenig über das allgemeine Angstgefühl aus, das sich in französischen Lehrerzimmern seit einigen Jahren ausbreitet. Dieses ist auch den Versicherungsgesellschaften nicht entgangen, denn mit Angst lässt sich bekanntlich leicht Geld machen.

MAIF, die traditionelle Versicherung der französischen Lehrer, packte die Gelegenheit als erste beim Schopf und bietet seit 2008 eine spezielle Police an, die Lehrern Unterstützung im Fall von Aggressionen, Mobbing, körperlicher oder seelischer Gewalt geben soll. Im September 2012 hatten bereits 55 Prozent aller Lehrer und die Hälfte der Schulleiter eine solche Versicherung abgeschlossen. Für 40 Euro jährlich können sie somit auf Unterstützung verschiedener Art (Zahlung der Krankenhauskosten, Lohnfortzahlung im Falle einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, psychologischer Beistand) hoffen, sich beraten oder vor Gericht vertreten lassen.

Gerade für junge Lehrer mag eine solche Versicherung eine Rettungsboje darstellen. Aus jüngsten Untersuchungen geht hervor, dass jeder vierte Junglehrer das Klima an seiner Schule negativ beurteilt. Seit der Abschaffung des praktischen Jahres 2010 werden Neulinge quasi unvorbereitet in die Arena geworfen und meist in »Risikoschulen« in sozial schwachen Vororten. Dort fühlen sie sich von den Schulleitungen oft alleingelassen.

Insofern können spezielle Versicherungen für Lehrer kaum mehr als ein Trostpflaster sein, solange sich niemand der Ursache des Problems annimmt: Das französische Schulwesen, einst ein unangefochtener Ort der Kultur- und Wissensvermittlung, hat alle Mühe damit, angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Probleme seinen Platz zu finden.


Lexikon

Mutuelle d'assurance des instituteurs de France, kurz MAIF, wurde 1934 als Versicherungsverein der Grundschullehrer gegründet und bot ursprünglich nur Autopolicen an. Inzwischen deckt das Unternehmen mit Sitz in der westfranzösischen Stadt Niort ein breites Spektrum an Versicherungen ab - etwa in den Bereichen Wohnen, Krankheit und Alterssicherung. Der Jahresumsatz betrug zuletzt rund drei Milliarden Euro. nd

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