Das Schweigen brechen
Hausangestellte von Botschaftsangehörigen aus Bolivien erhebt schwere Vorwürfe
»Ich wollte erst gar nicht nach Deutschland«, sagt die 49-jährige Antonia R. Sie sitzt vor einer Tasse Tee und erzählt mit leiser Stimme. Davon, wie lange sie schon in Bolivien für die Familie Rivero de Marter in La Paz tätig war. Wie diese sie immer wieder aufgefordert hat, doch für deren Tochter in Deutschland zu arbeiten. Und wie sie dann doch zugestimmt hat, als ihre finanzielle Situation schlechter wurde.
Der Vertrag, der ihr angeboten wurde, war fair und gut. Acht-Stunden-Tag, freie Wochenenden, Krankenversicherung, 915 Euro monatliches Gehalt, ein eigenes Bankkonto und Urlaubsanspruch. »Das schienen mir sehr gute Bedingungen, ich war glücklich, weil ich so meine Tochter unterstützen konnte.«
Am 20. Dezember 2011 landete sie in Berlin. Alles schien gut zu Beginn, auch wenn sie länger arbeiten sollte als vereinbart. Doch als sie im Februar nach ihrem Lohn fragte, hieß es plötzlich, der Flug müsse noch abbezahlt werden. Im März und April bekam sie die gleiche Antwort. Sie wird misstrauisch und streitet sich immer öfter mit ihrer Chefin.
Ihr Tag beginnt um sieben Uhr. Sie macht Frühstück für die Familie, kümmert sich anschließend um die zweijährige Tochter, macht Mittagessen, wäscht und putzt. Am Abend erwarten ihre Arbeitgeber nicht nur ein Abendessen, sondern sie muss bis etwa 22 Uhr bereitstehen, falls sie noch Wünsche haben. Jeden Tag geht das so, raus kommt sie nur selten. »Manchmal habe ich einen Spaziergang gemacht und bin in die Kirche gegangen.«
Sie kennt niemanden in der Stadt, fühlt sich allein und einsam. Wenn sie sich beschwert, wird alles nur noch schlimmer. Die Streitereien werden mehr, sie wird als Lügnerin beschimpft, als sie krank ist, weigert sich ihre Chefin, sie zum Arzt zu bringen. Als sie sie schließlich doch in eine Praxis fährt, muss sie zu Fuß den Weg zurückfinden. »Einmal bin ich gegangen, fest entschlossen, nicht wiederzukommen«, berichtet sie. »Doch ich wusste nicht wohin, also musste ich zurück und mich entschuldigen.« In diesem Moment kommen ihr doch die Tränen, ihre Stimme bricht für einen kurzen Moment.
Ende April bekommt sie einen Teil ihres Gehaltes, 1200 Euro für vier Monate. Dann geht alles weiter wie zuvor. Ihre Chefin argumentiert, der Unterhalt für sie sei teuer, sie gebe zu viel Geld aus. Antonia R. widerspricht und ist verzweifelt. Doch dann kommt die Wende. Als sie wieder mal in der Kirche ist, bemerkt ein Mann ihre Verzweiflung und spricht sie an. Er kommt aus Argentinien, ist nur zu Besuch in der Stadt. Aber er kennt einen Pfarrer, der ihr weiterhelfen will. Sie schöpft wieder Hoffnung, auch wenn sich die Situation immer weiter zuspitzt. Am 20. August dieses Jahres kommt es erneut zu einem Streit. Sie verlässt die Wohnung. Diesmal ist sie entschlossen, nicht zurückzukommen. Sie wendet sich an die Botschaft, doch von dort gibt es keine Hilfe. Die erste Nacht verbringt sie auf der Straße, hat Angst, dass sie von der Polizei aufgegriffen wird. Durch einen glücklichen Zufall erfährt sie vom Netzwerk »respect«, das sich für die Rechte illegalisierter Hausangestellter einsetzt.
Am 1. September erhält sie eine Kündigung. Damit endet auch ihr Aufenthaltsstatus. Doch mittlerweile weiß sie, dass es auch andere gibt, die wie sie unter ungeschützten Arbeitsverträgen leiden. Sie wendet sich an die Organisation Ban Ying, eine Beratungs- und Koordinationsstelle gegen Menschenhandel, die sich in den vergangenen Jahren verstärkt um die Rechte von Hausangestellten in Botschaften kümmert. Antonia weiß, dass sie zurück nach Bolivien muss, aber sie will ihren Lohn und - vor allem - sie will nicht mehr schweigen. Vor das Arbeitsgericht kann sie nicht gehen, Botschaftsangehörige genießen Immunität.
Aber es kommt zu einem Termin beim Auswärtigen Amt, das sich in den vergangenen zwei Jahren vermehrt um faire Arbeitsbedingungen für Hausangestellte in Botschaften bemüht. Antonia R. ist nicht dabei. Ihre Anwältin und die Vertreterin von Ban Ying fordern für das vergangene Jahr 18 000 Euro, eingerechnet Sonntagsarbeit und Überstunden. Am Ende soll sie 8000 Euro erhalten, ihr regulärer Lohn für ein Jahr Arbeit. Und sie soll schweigen. »Ich habe in der Beratungsstelle gesessen, dann kam ein Anruf, ob ich einverstanden bin«, erzählt sie. »Ich habe nein gesagt. Ich hätte lieber auf das Geld verzichtet als darauf, darüber sprechen zu dürfen, was mir passiert ist.« Denn der Schmerz sitzt tief. »Ich verstehe nicht, wie Menschen, bloß weil sie in einer Botschaft arbeiten, auf andere so herabsehen dürfen und sie so behandeln dürfen.«
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