Nach Massenprotest rudert der Präsident zurück

Mursi bemüht sich um Entschärfung der Lage in Ägypten / Nach Richtern rufen auch Journalisten zum Streik

  • Lesedauer: 3 Min.
Ägyptens Muslimbrüder, die hinter der Entscheidung Präsident Mursis zur Machterweiterung stehen, suchen jetzt nach einem Weg, die Proteste gegen die Verfassungserklärung des Präsidenten zu beenden, ohne dass sie dabei das Gesicht verlieren.

Kairo (AFP/nd). Nach erneuten gewaltsamen Protesten gegen die Ausweitung seiner Macht hat sich Ägyptens Präsident Mohammed Mursi um eine Entschärfung der Lage bemüht. Vor einem Treffen Mursis mit seinen Kritikern vom Obersten Rat der Justiz am Montag deutete sein Justizminister Ahmed Mekki Bereitschaft zum Kompromiss an. Der Oppositionspolitiker Mohamed ElBaradei beharrte jedoch auf der vollständigen Rücknahme der umstrittenen Bestimmungen.

Mekki schlug eine »Änderung« der am Donnerstag erlassenen Verfassungserklärung in dem Sinne vor, dass nur die Fragen, welche die »souveränen Rechte des Präsidenten« betreffen, nicht aber seine Entscheidungen in Verwaltungsfragen von der Überprüfung und der Aufhebung durch die Justiz ausgenommen sind. In der Erklärung hatte Mursi verfügt, dass seine »zum Schutz der Revolution getroffenen Entscheidungen« rechtlich nicht angefochten werden können.

Der Oppositionelle ElBaradei forderte am Montag in der Zeitung »Al-Masri al-Jum« jedoch »schlicht und einfach« den Rückzug der Verfassungserklärung. Mursi sei dabei, eine neue Diktatur aufzubauen, sagte ElBaradei und warnte davor, dass die Armee wie bereits nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak im Februar 2011 intervenieren könnte, um »das Chaos zu verhindern und das Vaterland zu schützen«.

Mursi betonte am Sonntag, dass seine Vollmachten nur bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung und der Wahl eines neuen Parlaments gelten würden. Die Verfassungserklärung sei notwendig gewesen, um das Ende zweier »demokratisch gewählter Institutionen« zu verhindern, sagte Mursi mit Blick auf Oberhaus und Verfassungsversammlung. Er rief alle Kräfte zu einem »demokratischen Dialog« auf, um einen »nationalen Konsens« zur Verfassung zu finden.

Der aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Präsident hatte in der Verfassungserklärung bestimmt, dass die von muslimischen Parteien dominierte Verfassungsversammlung und das Oberhaus gerichtlich nicht aufgelöst werden dürfen. Die Verfassungsversammlung, über deren Rechtmäßigkeit die Justiz in Kürze entscheiden wollte, erhielt zudem bis Mitte Februar Zeit, um das neue Grundgesetz fertigzustellen.

Am Sonntagabend gab es bei erneuten Protesten vor der Zentrale der Muslimbrüder in Damanhour südlich von Alexandria schwere Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern Mursis mit zahlreichen Verletzten. Nach Angaben eines führenden Vertreters der Muslimbrüder, Dschamal Hischmat, wurde ein junger Mann dabei getötet. Augenzeugen berichteten, Gegner Mursis hätten die Zentrale der Muslimbrüder zu stürmen versucht.

Nach den Richtern riefen auch die Journalisten zu einem Streik auf. Damit solle gegen die fehlenden Garantien der Pressefreiheit im derzeitigen Entwurf für die neue Verfassung protestiert werden, sagten Teilnehmer nach einer Dringlichkeitssitzung der Journalistengewerkschaft am Sonntagabend. Ein Termin stehe aber noch nicht fest. Während der Sitzung gab es Handgreiflichkeiten zwischen Anhängern und Gegnern Mursis.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte seine »große Sorge« über die Ereignisse in Ägypten. Deutschland wolle eine Fortsetzung des Wegs zur Demokratie. »Demokratie heißt Herrschaft des Rechts, heißt Gewaltenteilung«, betonte Westerwelle. Er rief die Führung auf, den Ausgleich nach innen und das Gespräch mit der Richterschaft zu suchen. Die Bundesregierung beobachte die Entwicklung »mit Aufmerksamkeit und durchaus auch mit einiger Sorge«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert ebenfalls am Montag in Berlin. Die ägyptische Revolution sei von »großen Hoffnungen« begleitet worden, und die Bundesregierung hoffe sehr, »dass sie nun auch zu einem demokratischen geordneten Staatswesen führen wird«, sagte Seibert.

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