Umkämpfte Wahlen in Afrikas Boomland
Beim Urnengang in Ghana geht es auch um den Umgang mit den üppigen Öleinnahmen
»Die Mutter aller afrikanischen Wahlen rückt näher«, verkündete ein Regierungssprecher Ghanas letzte Woche. Eine nur leicht übertriebene Einschätzung. Bei den Wahlen 2008 fiel das Ergebnis der Stichwahl mit nur 40 000 Stimmen Unterschied zwischen dem sozialdemokratischen Nationalen Demokratischen Kongress (NDC) und der wirtschaftsliberalen Neuen Patriotischen Partei (NPP) denkbar knapp aus. Afrikas Vorzeigedemokratie erlebte Krawalle und Unsicherheit, weil beide Parteien zunächst den Sieg für sich beanspruchten.
Auch in diesem Jahr scheint ein Kopf-an-Kopf-Rennen möglich. Dem amtierenden Präsidenten John Dramani Mahama (NDC) fehlt das Charisma seines Vorgängers John Atta Mills, der im Juli im Alter von 68 Jahren überraschend starb. Seine Partei muss zudem die Parlamentsmehrheit verteidigen.
»Im Augenblick sind alle Politiker dabei, das Volk zu friedvollen, glaubwürdigen und transparenten Wahlen aufzurufen«, berichtet der Entwicklungspolitologe Leonard Ackon aus der Hauptstadt Accra gegenüber »nd«. Der Wahlkampf sei bisher in allen Regionen friedlich verlaufen.
Beobachter der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) bestätigten die Ruhe vor dem Wahlgang. Vergangene Woche kamen alle acht Präsidentschaftskandidaten zusammen, um die »Erklärung von Kumasi« abzusegnen. Darin schworen sie alle »Frieden während und nach den Wahlen«. Die oberste Verfassungsrichterin nahm den Vertrag entgegen und ein Regierungssprecher warnte: Das Volk werde jene zur Rechenschaft ziehen, die ihre Versprechen brechen. Erstmals gab die Wahlbehörde biometrische Pässe an die 13 000 registrierten Wähler aus. Mit Fingerabdrücken und einem Personenprofil soll eine doppelte Stimmabgabe vermieden werden. Die Polizei schulte eine eigene Einheit, die am Freitag den Transport der Wahlurnen bewachen wird. Nach Ackons Einschätzung will die NDC-Regierung nichts dem Zufall überlassen und in Sachen Sicherheit keine Kompromisse eingehen.
Dank des Erdölbooms seit 2010 erreichte Ghana im vergangenen Jahr mit 14 Prozent die höchste Wachstumsrate der Welt. Gleichzeitig lebt aber ein Drittel der gut 20 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze, etwa ebenso viele sind Analphabeten.
Die Hauptstadt Accra entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einer Dauerbaustelle, auf der internationale Firmen Einkaufszentren und Wohnblöcke hochziehen. Dazu trägt nicht nur die Ölwirtschaft bei. Ghana ist der zweitgrößte Goldexporteur Afrikas und außerdem reich an Diamanten und Bauxit. Für Afrika untypisch, entwickelte der Staat darüber hinaus eine blühende Textil- und Technikindustrie, wodurch das Land weniger auf die billigen Verbrauchsgüter aus Übersee angewiesen ist als viele Nachbarstaaten.
Nachholbedarf gibt es allerdings im Norden des Landes. Dort werden sich die Qualitäten des neuen Präsidenten zeigen müssen, denn die Bevölkerung in der nördlichen Hälfte des Landes hat bisher wenig von der Aufbruchstimmung mitbekommen. Die Hälfte der ghanaischen Arbeiter ist in der Landwirtschaft angestellt. Die Savanne im Norden wirft jedoch weniger Ernte ab als die satten Felder im Süden, und das schmälert die Einkommen. Laut einem Bericht der Weltbank sind zwischen 1995 und 2006 rund 2,5 Millionen Menschen im Süden der Armut entkommen, während eine Million im Norden unter die Armutsgrenze rutschte. Ackon schätzt: »Dem nächsten Präsidenten wird die große Verantwortung zufallen, die Produktion und die Kleinwirtschaft anzukurbeln, um auf diese Weise Jobs zu schaffen.«
Die größten Chancen auf den Wahlsieg werden dem Übergangspräsidenten John Dramani Mahama eingeräumt. Die Opposition kritisierte ihn als unerfahren, doch Ackon widerspricht: »Dreieinhalb Jahre als Vizepräsident und viele mehr als Minister und Parlamentarier brachten ihm die nötige Erfahrung.« Auch viele Ghanaer sind überzeugt, dass Mahama am ehesten Mills Vision vom »Better Ghana« (Besseres Ghana) fortführen kann. Zu Mills größten Reformen zählte das »Verwaltungsgesetz der Petrowirtschaft«. Danach müssen 70 Prozent der Öleinnahmen in die Infrastruktur und die Verbesserung der Landwirtschaft investiert werden.
Optimistisch gibt sich freilich auch der Kandidat der NPP, Nana Akufo-Addo, der 2008 bei der Stichwahl nur knapp gegen Mills verloren hatte. Nun tritt der ehemalige Außenminister wieder an. Unbegründet ist sein Optimismus nicht: Die NDC hat zum einen nicht mehr den populären Mills als Zugpferd. Zum anderen scheinen sich Anhänger des früheren, charismatischen Präsidenten Jerry Rawlings (1981-2000) von Mahama abgewendet zu habe. Rawlings hatte erfolglos für seine Ehefrau Nana Konadu Rawlings als NDC-Kandidatin plädiert. Sie tritt nun für die NDC-Abspaltung NDP an und könnte Mahama entscheidende Stimmen abnehmen. Erhält keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang über 50 Prozent der Stimmen, gibt es wie 2008 eine Stichwahl.
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