Rechtsextreme Rattenfänger in Lyon

Sogenannte identitäre Parteien haben vor allem junge Leute im Visier

  • Robert Schmidt, Lyon
  • Lesedauer: 4 Min.
Die islamfeindliche französische Kleinpartei Identitärer Block baut ihr Netzwerk aus. So will etwa die Lyoner Jugendsektion gleich drei lokale Ableger in der Region etablieren. Dieser Tage erst hatte sie das Lyoner Lichterfest genutzt, um Schüler zu werben. Frankreichs Innenminister Manuel Valls prüft derweil, die Partei verbieten zu lassen.

Sie inszenieren sich gerne. Die Videos, die sie auf Facebook hochladen, zeigen die jungen Identitären schwarz gekleidet beim Fackelmarsch, unter den Clip haben sie eine martialische Musik gelegt. In den südfranzösischen Städten Grenoble, Valence und in Bourgoin-Jallieu sollten am Wochenende drei lokale Ableger gegründet werden. Wer hinter dieser Gruppierung steckt, zeigt sich jedes Jahr während des Lyoner Lichterfestes.

Rückblende, Anfang Dezember vorigen Jahres. Millionen Touristen wälzen sich durch die Straßen von Lyon, an jeder Ecke gibt es Lichtinstallationen, Lasershows, Glühwein. Von vielen unbemerkt, veranstalten 500 meist junge Menschen im Herzen der Altstadt einen Fackelzug. Sie malen auf ihrem Weg Hakenkreuze auf Autofenster. Die Organisatoren des Marsches kommen von der lokalen Jugendsektion der rechtsextremen Kleinpartei Identitärer Block, sie nennen sich Identitäre Generation. Hooligans sind genauso dabei wie wegen rassistischer Gewaltstraftaten Verurteilte oder ehemalige Mitglieder des Front National.

Auf den Tag genau ein Jahr später. Dieses Mal sind nicht ganz so viele zum Fackelmarsch gekommen. Etwa 300 Teilnehmer sind zur Auftaktkundgebung erschienen. Der Chef der Lyoner Identitären hält eine kurze Rede. Rieu wählt seine Worte sorgsam, sicherheitshalber liest er sie von einem Zettel ab. Immer wieder spricht er von der heiligen Marie, ihr zu Ehren habe man vor mehr als 150 Jahren Kerzen in die Fenster gestellt und so die Tradition des Lichterfestes begründet. »Heute ist nichts als Kommerz und Konsum geblieben.« Rieu erklärt, man müsse die lokalen Kulturen schützen, vor dem »Gesindel«, das »von außen« reinkomme. »Für uns sind die Identitären nur der verlängerte Arm von Nicolas Sarkozy - viel zu weichgespült«, meint ein Mitdemonstrant, etwa Mitte 20 und Mitglied einer Gruppe, die die Vichy-Herrschaft verherrlicht. Sein Kamerad, ein Mittfünfziger, pflichtet ihm bei. Er kritisiert die Ausrichtung der Identitären, die lokale, nationale und europäische Identität als komplementär ansehen. Entweder sei man Franzose »oder eben nicht«.

Ein Besuch in der »Traboule«, dem Lokal der Identitären. Der Hauptraum, eine Bar, ist rappelvoll. Vor allem Jugendliche sind nach dem Fackellauf geblieben, die meisten von ihnen noch Schüler. Einige, die im Vorjahr teilgenommen hatten, sieht man heute in Pullovern mit dem Logo der Bewegung. Eine Schülerin mit dem Aufdruck »Gegen international, pro lokal« verkauft Hamburger, es wird Glühwein und Bier ausgeschenkt. Die Stimmung ist ausgelassen, ein Chor singt Lieder über Marie. An den Wänden hängen Fotos von den Ausflügen der Gruppe, meist sind Männer zu sehen, gerne mit nacktem Oberkörper. Die Aktivisten freuen sich, dass in diesem Jahr mehr Jugendliche den Weg in ihr Lokal gefunden haben. Sie verteilen Aufkleber. »Anti-Gesindel-Zone« steht darauf oder etwa »Zusammenleben? Ja, aber ohne sie«. Ein Sticker heißt »Hast du schon von Poitiers gehört?« Er nimmt Bezug auf eine Aktion im Herbst, bei der die Lyoner auf eine Moschee im westfranzösischen Poitiers geklettert sind, um gegen die angebliche Islamisierung Frankreichs zu protestieren. Eine hysterische Medienberichterstattung folgte, schließlich die Ansage des Innenministers, ein Verbot der Gruppe prüfen zu lassen: Ausgang offen.

In der Bibliothek der Identitären finden sich Werke von Ernst Jünger, ein Buch über die »Desinformation der Öffentlichkeit durch die Medien« und über den »Weg zum Post-Nationalismus«. Im Hinterzimmer halten die Mitglieder der lokalen Sektion ihr monatliches Treffen ab. Während die Erwachsenen in Lyon nur zehn aktive Mitglieder haben, sind es bei den Jungen mindestens 50. Sie organisierten im November anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Partei ein Europatreffen der Identitären. Von der italienischen Lega Nord, über Mitglieder des Front National bis zu den Identitären aus Österreich und der Schweiz waren erstaunlich viele rechtsgerichtete Parteien vertreten. In Orange zeigte sich auch, wie jung die französische Partei ist. Jedes zweite der knapp 2000 Mitglieder ist unter 30. Noch erfolgreicher ist die Gruppe aber im Netz. Die Lyoner haben in ihrer Facebook-Gruppe mehr als doppelt so viele Mitglieder wie die lokale Jugendfraktion der rechten UMP, mehr als 20 Mal so viele wie die Jungen Sozialisten. Nach dem Lichterfest und den Aktionen in den Nachbarstädten sind es nun noch einige mehr.

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