140 Millionen Broiler
Ein Gerichtsurteil könnte den Ausbau von Tierproduktionsanlagen im Nordosten bremsen
Die Bürgerinitiative »Pro Landleben Brohmer Berge« unterhält im Internet eine Karte, auf der die Standorte von größeren Hähnchenmastanlagen in Mecklenburg-Vorpommern verzeichnet sind. Demzufolge gibt es Dutzende solcher Anlagen - und ein weiteres Dutzend befindet sich in Planung oder im Bau. Die Maßstäbe steigen stetig: Die neuen Projekte bewegen sich in Größenordnungen von mehreren hunderttausend.
Während sich der Nordosten in Sachen Gänsebraten eher in der zweiten Reihe bewegt - von den in Deutschland gehaltenen rund 700 000 Gänsen sind weniger als 10 000 in Mecklenburg-Vorpommern eingestallt - entwickelt sich das Land immer mehr zu einer Broilerfabrik.
In Klein Daberkow, südöstlich von Neubrandenburg und in nächster Nachbarschaft der Bürgerinitiative sind es 400 000, in Klein Lukow, einem Ort im Penzliner Land 300 000 - wie auch in Lindenhof südlich von Demmin und in Gallin nordwestlich von Plau am See. Geplante Anlagen wie in Presek bei Hagenow oder in Göhlen bei Ludwigslust nehmen sich mit jeweils gut 30 000 Plätzen geradezu bescheiden aus. Sollten alle diese Anlagen genehmigt werden, so die Bürgerinitiative, die sich auf Informationen des BUND stützt, würde die Hähnchenkapazität im Nordosten bis auf 140 Millionen steigen - in etwa doppelt so viele wie vor wenigen Jahren. Der Landesslogan »MV tut gut« werde zu einem »unglaubwürdigen Spottspruch«, schimpfen die bewegten Bürger.
Ganz aktuell ist diese Karte freilich nicht mehr. Eine dort noch als »geplant« verzeichnete Anlage bei Kuppentin, ebenfalls in der Nähe von Plau am See, war zuletzt schon in Betrieb, der Betreiber hatte die Anlage von 30 000 auf 130 000 ausgebaut. Doch nun musste die Großstallung den Betrieb wieder einstellen: Der Umweltverband und die Bürgerinitiative hatten gegen die Inbetriebnahme vor dem Oberverwaltungsgericht in Greifswald erfolgreich Einspruch eingelegt.
Die Beschwerdeliste der Umweltschützer war in diesem Fall besonders lang: Die Geruchsbelastungen seien nach veralteten, fehlerhaften Methoden berechnet worden, die Wind- und Wetterdaten seien »teilweise von topographisch völlig anderen Stationen übernommen« worden - und eine ordnungsgemäße FFH-Verträglichkeitsprüfung habe nicht stattgefunden, obwohl sich die Kuppentiner Anlage weniger als 100 Meter neben einem EU-geschützten »Flora-Fauna-Habitat« liegt, der »Alten Elde«. Den Punkt mit der FFH-Prüfung bestätigten die Richter Ende Oktober. Die bereits eingestallten 120 000 Hähnchen durften gemästet werden, danach ist erst einmal Schluss. Erst muss die FFH-Prüfung nachgereicht werden.
Nun schlägt der Landesbauernverband Alarm: Es könne nicht sein, dass der Betreiber - der 1,5 Millionen Euro in die Anlage investiert haben soll - sich auf eine einmal gegebene Genehmigung nicht verlassen könne, sagte Martin Piehl, der Hauptgeschäftsführer des Nordost-Bauernverbandes. Schon rieten die Stallausrüster ihren Mitarbeitern, einem Bogen um das Bundesland zu machen, sagte er der dpa.
Tatsächlich war die Anlage im Mai 2011 durch das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt in Schwerin genehmigt worden. Auf der anderen Seite muss dem Betreiber klar gewesen sein, dass eine schnelle Inbetriebnahme Risiken barg: Sie war trotz eines laufenden Widerspruchsverfahrens erfolgt. Im rechtlichen Sinn war damit das Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen, widerspricht der BUND dem Landesbauernverband.
Gleicher Meinung ist der Umwelt- mit dem Bauernverband allerdings bezüglich der Reichweite des Urteils: Diese habe Folgen für eine ganze Reihe anderer genehmigter oder geplanter Anlagen, die in ähnlicher Weise »die Überprüfung von Wirkungen auf umgebende geschützte Naturräume unterlassen« hätten. Besonders die in Gallin - nur wenige Kilometer von der fraglichen Anlage in Kuppentin entfernt - genehmigte Anlage für 300 000 Mastplätze müsse neu überprüft werden, so BUND-Geschäftsführerin Corinna Cwielag.
Insgesamt sind nach ihren Angaben rund 40 weitere »Intensivanlagen zur industriellenTierproduktion« im Land geplant. Neben den Hähnchen- liegt ein Schwerpunkt dabei in der Schweinefleischproduktion, immer wieder Schlagzeilen macht eine Ferkelanlage in Alt Tellin.
Im Land beginnt sich die Stimmung gegen Riesenstallungen zu drehen. Als Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) im Oktober über die Verwendung der 16 Millionen Euro berichtete, die 2012 als Investitionsförderung in den Landwirtschaftsbereich gingen, betonte er eigens, Anlagen wie die Hähnchenmast in Klein Daberkow oder die umstrittene Schweineanlage Alt Tellin nicht gefördert zu haben. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald hat der Kreistag vor einigen Wochen mit großer Mehrheit aus LINKE, Grünen und SPD beschlossen, dass ein Ausbau der Intensivtierhaltung im Kreis nicht erwünscht sei. Landrätin Barbara Syrbe (LINKE) dürfte sich über diese Parlamentsvorgabe gefreut haben. Sie gilt seit Längerem als Kritikerin solcher Anlagen, speziell der Alt Telliner Anlage.
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