Griechenland in der Dauerkrise
Tage ohne Proteste waren im Jahr 2012 spärlich gesät
Bereits am Anfang des Jahres hatte sich herausgestellt, dass die ursprünglich vereinbarten Kredite nicht ausreichen würden, um Griechenland auf den Pfad der tugendhaften Haushaltsführung zurückzugeleiten. Mitte Februar wurde deswegen ein neues Rettungspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro von der Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB bewilligt. Begleitet wurde die Frühjahrsrettung von einem »großzügigen« Schuldenschnitt. Mit dem Verzicht privater Gläubiger auf die Hälfte des Wertes der von ihnen gehaltenen griechischen Staatsobligationen sollte die Schuldenlast Griechenlands um etwa 100 Milliarden gesenkt werden. Dass dabei vorrangig die griechischen Sozialversicherungskassen um ihre Rücklagen gebracht wurden, ging im Jubel um die abermalige erfolgreiche »Rettung« des trudelnden Mittelmeerstaates unter.
Die unter dem eingesetzten Premierminister Lucas Papademos amtierende Regierung aus PASOK und Nea Dimokratia (ND) konnte sich über frisches Geld und Schuldenschnitt allerdings nicht lange freuen. Angesichts der wütenden Proteste verweigerten mehr als 40 Abgeordnete der Regierungsparteien dem Abkommen ihre Stimme. Unmittelbar danach wurden Neuwahlen ausgerufen. Im Mai mussten PASOK und ND ordentlich Federn lassen. Die ehemals kleine Linksallianz SYRIZA dagegen stieg zur stärksten Oppositionspartei auf. Weil jedoch keine Partei genügend Mandate für eine Alleinregierung gewonnen hatte und keine Koalition zustande kam, mussten die Wahlen bereits im Juni wiederholt werden. Hier gewann die konservative Nea Dimokratia mit der Drohung »Entweder wir gewinnen oder Griechenland fliegt aus dem Euro« knapp gegen SYZRIZA, die eine Annullierung aller Maßnahmen versprach. Mit den 50 Bonussitzen, die der stärksten Partei zustehend, gelang dem ND-Vorsitzenden Antonis Samaras im zweiten Anlauf die Bildung einer Koalitionsregierung mit PASOK und sozialdemokratischer DIMAR.
Die restlichen Monate des Jahres boten immer wieder das gleiche Bild. Von der Troika im Gegenzug für die Auszahlung der Kreditraten geforderte ergänzende Sparmaßnahmen stießen auf mehr oder weniger heftige Proteste in der Bevölkerung. Insgesamt fünf Mal gipfelten sie in einen ein- bis zweitägigen Generalstreik. Jedes Mal verkündete die Regierung, das wären nun wirklich die letzten Kürzungen bei Löhnen und Renten gewesen. Nach jedem Maßnahmenpaket erklärten Ministerpräsident Samaras, Eurogruppenchef Juncker oder eine Wirtschaftsgröße, damit sei die Gefahr eines Ausstiegs Griechenlands aus dem Euro gebannt. Und regelmäßig wurde diese Gefahr wenig später wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Den letzten Akt des diesjährigen Dramas erlebte Griechenland im Dezember. Wenige Tage vor Weihnachten feierte man in Athen die Auszahlung einer neuen »Mammutrate« in Höhe von 34,4 Milliarden Euro aus dem zweiten Rettungspaket. Die dafür verabschiedeten drastischen Einschnitte bei Löhnen, Renten und Arbeiterrechten werden die Menschen im Lande zu Beginn des neuen Jahres in voller Wirkung zu spüren bekommen.
Von den 2012 ausgezahlten Kreditraten von über 100 Milliarden Euro hat die Not leidende Bevölkerung dagegen kaum etwas gesehen. Alle bisherigen »Rettungen« haben die Schulden Griechenlands nur weiter steigen lassen. Waren es Ende 2010 noch 329,5 Milliarden Euro, so steht man nun mit etwa 340,6 Milliarden Euro in der Kreide; bis Ende 2016 wird die Last voraussichtlich auf über 363 Milliarden Euro angewachsen sein. Bei der Arbeitslosigkeit überholte Griechenland sogar den bisherigen Spitzenreiter Spanien. Im September dieses Jahres wurden offiziell 24,8 Prozent Arbeitslose gezählt. Das Arbeitslosengeld wurde von 461 auf 323 Euro im Monat heruntergesetzt. Sollte auch im neuen Jahr keine Wende eingeleitet werden, wird man im nächsten Jahresrückblick über die Versuche zur Rettung Griechenlands vielleicht nur noch lesen können: »Operation gelungen, Patient tot.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.