Ein Klima der Unsicherheit

Ignacio Ramonet zur Rolle des Präsidenten und der Frage einer möglichen Nachfolge

  • Lesedauer: 3 Min.
Am 10. Januar steht in Venezuela verfassungsmäßig die Vereidigung des im Oktober wieder gewählten Präsidenten Hugo Chávez an. Dass sie vor der Nationalversammlung in Caracas nicht stattfinden kann, ist angesichts Chávez' delikater Gesundheitslage nach der vierten Krebsoperation in Havanna klar. Über einen verfassungsadäquaten Umgang mit seiner Erkrankung sind sich Regierung und Opposition uneins. Über Chávez' Krankheit sprach mit Ignacio Ramonett für »nd« Harald Neuber.

nd: Herr Ramonet, am Donnerstag dieser Woche sollte Venezuelas Präsident Hugo Chávez vereidigt werden. Nach seiner Krebsoperation wird dieser Termin nun verschoben. Sind Neuwahlen notwendig?
Ramonet: Nein, denn erstens sieht die venezolanische Verfassung von 1999 vor, dass der Präsident seinen Amtseid vor dem Obersten Gerichtshof ablegt, falls er den definierten Termin nicht wahrnehmen kann. Die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs könnten den Termin nicht nur verschieben, sondern Chávez den Amtseid sogar in einem Hospital abnehmen. Zweitens hat Hugo Chávez von der Nationalversammlung die einstimmige Erlaubnis erhalten, sich zur Behandlung maximal 90 Tage im Ausland aufzuhalten. Diese Zeit ist erst zu einem Drittel abgelaufen. Drittens muss er nicht in einer neuen Funktion vereidigt werden. Er war vor der Wahl Präsident und ist es auch danach. Die Regierung ist voll funktionsfähig.

Was haben wir für Donnerstag zu erwarten?
Ich gehe davon aus, dass trotz aller Aufregung von den Mitgliedern der Nationalversammlung in Caracas eine Verschiebung des Vereidigungsdatums beschlossen wird. Das Parlament hat in dieser Frage volle Souveränität.

Wie beeinflusst das gesundheitliche Schicksal von Hugo Chávez den Verlauf der »Bolivarianischen Revolution«?
Natürlich schafft die Erkrankung zunächst ein Klima der Unsicherheit, dass sich auf die politische Situation auswirkt. Wenn es in diesem Moment in Venezuela allerdings Neuwahlen geben würde, stünde außer Frage, dass sich die Regierungsparteien gegenüber der Opposition in einer ungleich günstigeren Ausgangslage befänden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Regierungslager gerade zwei aufeinanderfolgende Abstimmungen - die Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober und die Regionalwahlen am 16. Dezember - gewonnen haben ...

... bei der letztgenannten Abstimmung hat der Chavismus 20 der 23 Bundesstaaten erobert.
Auch die Emotionalität, mit der die Menschen der Krankheit des Präsidenten begegnen, würde eher der Regierung helfen. Auf der anderen Seite steht eine wenig organisierte und zerstrittene Opposition. Der Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski, war zwar am vergangenen 7. Oktober der Kandidat der Opposition. Aber es ist derzeit völlig offen, ob die Allianz der Chávez-Gegner ihn noch einmal ins Rennen schicken würde. Die Opposition hat im Moment also am wenigsten Interesse an Neuwahlen. Tatsächlich fordern sie dies auch nicht, sondern hinterfragen die Verfassungsmäßigkeit der Regierungsvorschläge oder stellen Fragen zum Gesundheitszustand von Chávez.

Weshalb erweckt das Thema so große mediale Aufmerksamkeit?
Weil der seit 14 Jahren währende politische Prozess in Venezuela ganz Lateinamerika beeinflusst. Aber denken Sie auch daran, dass sich im Februar Ecuadors Präsident Rafael Correa erneut zur Wahl stellt. Beim Kampf um diese beiden Präsidentschaften spielen viele Interessen eine Rolle, zahlreiche Akteure nehmen Einfluss.

Der oppositionelle Capriles Radonski vertritt die These, dass »der Chavismus ohne Chávez verletzbar und besiegbar sein kann«. Hat er Recht?
Wenn er sagt, dass das so sein könne, spricht er zu Recht nur von einer Möglichkeit. Derzeit trifft das kaum zu, denn Hugo Chávez ist präsent. Nicht nur in Venezuela wird der politische Prozess stark mit einer Führungsfigur identifiziert. Das trifft auf Hugo Chávez ebenso zu wie auf Rafael Correa (Ecuador), Evo Morales (Bolivien), Cristina Fernández (Argentinien) und andere. Aber in drei der linksregierten Staaten - Brasilien, Argentinien und Uruguay - hat es eine Nachfolge an der Spitze progressiver, linker Regierungen gegeben. In Venezuela wurde diese Option noch vor wenigen Wochen vehement ausgeschlossen. Heute wissen wir, dass es mit dem amtierenden Vizepräsidenten Nicolás Maduro einen anerkannten Kandidaten des bolivarianischen Lagers gäbe, wenn dies notwendig würde.

Ignacio Ramonet war 1991 bis 2008 Direktor der in Paris erscheinenden Monatszeitung für internationale Politik »Le Monde diplomatique«. Seither leitet er die spanische Ausgabe der Zeitung. Der 69-Jährige ist Ehrenpräsident von Attac und Autor mehrerer Bücher über die lateinamerikanische Linke.

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