Bürger planen noch lange nicht mit
Eine Beteiligung der Steuerzahler an Großprojekten lässt auf sich warten - die Unternehmen denken aber langsam um
Großbaustellen haben Konjunktur. Die Eröffnung des Berliner Großflughafens ist bereits viermal verschoben worden, zuletzt auf 2014. Die Kosten für den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes wurden weiter nach oben korrigiert. Nach Protesten gegen den Bau mussten sich Demonstranten als Wutbürger beschimpfen lassen.
Die Bürger sind »not amused«. Sie kritisieren, dass Steuergelder verschwendet werden, und fürchten um ihre Lebensqualität, ihre Gesundheit und nicht zuletzt um den Wert ihrer Immobilien. Als Folge davon steigt die Zahl der Bürgerbegehren seit den 1990ern rapide an. Und wenn die Bürger auf die Barrikaden gehen, kann es für Projektträger teuer werden.
Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHK) hat die Gefahr erkannt und das Jahr 2013 unter das Motto »Infrastruktur - Wege für morgen« gestellt. Am Dienstag lud der Verband zur Auftaktveranstaltung mit dem Titel » Öffentlichkeitsbeteiligung für Infrastrukturvorhaben«.
Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid forderte »Strukturverbesserung statt Trillerpfeifendemokratie«. Die Protestierenden nannte er eine »schreiende Minderheit«, die Projekte erstens aus Eigennutz verhindern wolle, zweitens weil sie Proteste spannend finde, und drittens, weil sie Öffentlichkeit wolle. Dadurch aber werde Fortschritt verhindert, warnte Schöppner. Die »schweigende Mehrheit« hingegen lege Wert auf demokratische Verfahren und habe meist kein Problem mit Großbaustellen.
Doch was medienwirksam ist, kann man nicht ignorieren. Selbst Schöppner musste zugeben, dass die intransparente »Salami-Taktik«, mit der im Rahmen des Flughafenbaus in Berlin Informationen nur preisgegeben wurden, wenn die Veröffentlichung nicht mehr verhindert werden konnte, das Vertrauen der Bürger zerrüttet habe. »Wir müssen die Bedenken der Bürger ernst nehmen und ihnen Respekt entgegenbringen«, so Schöppner. Wolle man sie anhören, müsse man ihnen ein Forum geben. Zeige man Dialogbereitschaft, habe man auch die Moral auf seiner Seite.
Beim Bauvorhaben für das Pumpspeicherkraftwerk am Schluchsee in Baden-Württemberg hat die Projektträgerin, die Schluchseewerk AG, deshalb einen Runden Tisch eingerichtet, um die Fragen, Bedürfnisse und auch das Know-how verschiedener Akteure in das Planungsverfahren einzubeziehen. Eine Million Euro hat der Beteiligungsprozess das Joint Venture von EnBW und RWE gekostet - weniger als 0,1 Prozent der Bausumme, die mit 1,6 Milliarden veranschlagt ist.
»Wenn man einen Runden Tisch einrichtet, muss man auch bereit sein, nicht nur das Wie, sondern auch das Ob zu diskutieren«, sagte Peter Steinbeck, Sprecher der Schluchseewerk AG, am Dienstag in Berlin. Ein Unternehmen müsse damit rechnen, dass am Ende des Verfahrens das Projekt auch gekippt werden könne.
Ähnlich argumentierte auch Klaus Beckmann vom Deutschen Institut für Urbanistik: »Man muss den Mut haben, Projekte in Frage zu stellen, wenn viel Zeit seit der Planung vergangen ist und sich die Voraussetzungen verändert haben.« Wenn ein Bauprojekt länger dauere und teurer werde als veranschlagt, könne man durchaus die im Voraus eingeholte Zustimmung der Bevölkerung verlieren.
Die Redner betonten wiederholt, echte Bürgerbeteiligung zu unterstützen und nicht nur eine Bringschuld begleichen zu wollen. Doch die Beispiele ließen daran zweifeln. Fast triumphierend wurde von Bürgertelefonen berichtet, bei denen nur 0,3 Prozent der Betroffenen anriefen oder von Fragebogenaktionen mit ähnlich niedriger Quote. Andere Beteiligungsmodelle fehlten dagegen. Verkehrsminister Peter Raumsauer, aus dessen Haus das kürzlich erschienene »Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung« stammt, traut man die richtigen Vorschläge nicht zu: Er steht gerade selbst wegen seiner Taktik in Verbindung mit dem Berliner Flughafen in der Kritik.
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