Gefühlte Bedrohung

Die Sicherheitslage auf der Ostseeinsel Usedom beschäftigt Bürger, Polizisten und Forscher

  • Winfried Wagner, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer wieder wird über die angeblich zunehmende Kriminalität auf der Insel Usedom berichtet. Doch eine aktuelle Untersuchung zeigt: Die Kriminalitätsrate liegt niedriger als in vergleichbaren Gebieten.

Bansin/Schwerin. In Ahlbeck wird eine Handtasche gestohlen, in Heringsdorf baden Einbrecher erst mal in leeren Ferienwohnungen, trinken den Begrüßungssekt aus und nehmen dann noch einen Flachbildfernseher mit. So lauten Polizeimeldungen von der deutsch-polnischen Insel Usedom - auch als »Badewanne Berlins« bekannt. Doch insgesamt haben die Bewohner der zweitgrößten deutschen Insel deutlich mehr Angst vor Kriminalität als eigentlich nötig, erklärt der Greifswalder Sozialpsychologe Manfred Bornewasser. Das habe eine Studie ergeben, die die Universität Greifswald im Auftrag des Landeskriminalamts (LKA) Mecklenburg-Vorpommern erarbeitet hat.

»Die Kriminalität ist im Vergleich zu anderen deutschen Regionen verhältnismäßig klein«, erläutert Bornewasser. Rund 60 Interessierte verfolgten am Donnerstagabend im »Haus des Gastes« in Bansin die Vorstellung der Analyse. Der Hintergrund dieser Studie ist ernst: Rechtsextreme versuchen seit Jahren, die Kriminalität auf Usedom auf den Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen seit 2007 zurückzuführen und die Bevölkerung zu verunsichern, wie Fritz Spalink, Leiter des Präventionsrates der Kaiserbäder, sagte. Nach einer Häufung von Einbrüchen und Diebstählen vor zwei Jahren wurde die Polizei im Frühjahr 2011 verstärkt. Nun untersuchte Bornewassers Team die Kriminalität seit 2007 und nahm eine »kriminalgeografische Analyse« vor.

Ergebnis: Viele Menschen jenseits der 70 Jahre ziehen auf die Insel, die Bevölkerung wird immer älter, deshalb müsste die Kriminalität eigentlich sinken - sie war aber 2011 ganz leicht gestiegen. Schwerpunkte waren Diebstähle bei Fahrrädern und in Geschäften - »HotSpots sind die Supermärkte« - sowie Einbrüche. »In so starken touristischen Regionen ist das aber nicht ungewöhnlich, das ist in Demmin anders, wo kein Tourismus stattfindet«, erläutert der Forscher. Das habe nichts mit der Grenzöffnung zu tun, sondern sei eine »ganz normale Schwankung«. Im Gegensatz dazu steht die »subjektive Kriminalitätsfurcht«, wie sie Bornewasser nennt. Bei Befragungen von knapp 740 Menschen im Sommer 2012 gaben 98 Prozent der Urlauber an, sich »sicher« bis »sehr sicher« auf der Insel zu fühlen. Dagegen fühlten sich 19 Prozent der Einheimischen nicht sicher, in den Kaiserbädern sogar 28 Prozent. »Aber auch das ist ein Durchschnittswert, den viele andere Städte aufweisen«, erläutert Bornewasser. Man könnte auch überlegen, ob die sichtbar hohe Polizeipräsenz nicht auch kontraproduktiv sein könnte - nach dem Motto: Wo viel Polizei ist, muss was los sein.

Besserung versprechen sich Spalink und der Präventionsberater der Polizei, Mario Tschirn, von mehr Vorbeugung. »Es macht keinen Sinn, wenn Eigentümer teure Appartementhäuser bauen, sie im Winter mit geschlossenen Jalousien für alle erkennbar leer stehen und nicht bewacht werden«, meint Spalink. »Bei der technischen Sicherung gibt es großen Nachholbedarf, auch bei Einheimischen«, erläutert Tschirn. Die polnische Seite sei da schon weiter. Die Bewohner müssten zudem viel stärker auf Nachbargrundstücke aufpassen. »Wenn ich melde, dass sich da jemand zu schaffen macht oder ein verdächtiges Auto aufkreuzt, hat das nichts mit Spitzelei zu tun«, sagt Spalink.

Die Polizei, die immer noch verstärkt Streife fährt, will das auch beibehalten. »Auch den Bäderdienst wird es weiter geben«, kündigt Polizeipräsident Knut Abramowski an. Zusätzliche zivile Sicherheitsdienste seien nicht nötig: »Die zuständige Inspektion Anklam hat seit 2012 rund 30 Beamte mehr: Wir sind gut aufgestellt.« Allein in Heringsdorf arbeiten nun 45 statt vorher 33 Polizisten. Die Kriminalitätsbilanz für das vorige Jahr sei zwar noch nicht fertig, aber die ersten Ergebnisse deuten einen Rückgang bei Einbrüchen auf Usedom an, heißt es.

Die deutsch-polnische Insel ist laut Bornewasser zudem eine ganz besondere Region. »Grenzöffnung und das Zusammenwachsen: Hier gab es in kurzer Zeit auf engem Raum große Veränderungen.« Auf deutscher Seite leben knapp 32 000 Bürger, auf polnischer Seite rund 39 000 Menschen. Und auf Inseln sei das Sicherheitsempfinden generell anders als auf dem Festland. Selbst bei der Videoüberwachung hat das Team Unterschiede ausgemacht: »Auf polnischer Seite gibt es keine Scheu davor, anders auf der deutschen Seite.«

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!