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- Thema: Konfliktherd Westafrika
Mali im Fadenkreuz der Geopolitik
Frankreich: Sahel-Abenteuer für Atomanlagen-Betreiber und auch Menschenrechte?
Der Zerfall von Mali ist eine der Konsequenzen des vor allem von Frankreich betriebenen Krieges in Libyen. Die Afrika-Politik Muammar al-Gaddafis gefährdete jenes aus Korruption, Ausbeutung, Waffenhandel und Kriminalität bestehende neokoloniale System, das unter dem Namen Françafrique Eingang in die politikwissenschaftliche Literatur gefunden hat. Gaddafis Unterstützung für unterschiedliche Tuareg-Gruppen verfolgte das Ziel, in all jenen Staaten eine Mitsprache zu erreichen, in denen - wie auch in Libyen - neben Arabern berberische Tuareg (Singular Targi) leben: Algerien, Niger, Tschad, Burkina Faso. Diese Gruppen - zum Teil militärisch gut ausgebildet - wandten sich nach der Zerstörung der Staatlichkeit Libyens unter Mitnahme hochmoderner Waffen ihren Heimatregionen zu.
Der Sahel und die Sahara sind längst zu einem für Banditen und Kriminelle lukrativen Raum geworden: Durch die Wüste führt die wichtigste Straße des Handels mit kolumbianischem Kokain in Richtung Europa. Die zweite Einkommensquelle ist das Abpressen von Schutzgeldern von den Tausenden afrikanischen Migranten, die durch die Wüste ans Mittelmeer streben. Die Dritte sind Lösegelder für entführte Touristen, Diplomaten, Techniker, aber auch Geheimdienstagenten: Allein die ominöse Gruppe Al Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) soll derzeit über 60 Geiseln in ihrer Hand haben. Die Sahelstaaten Tschad, Niger, Mali, Mauretanien und Burkina Faso gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit über zehn Jahren bleiben die regelmäßigen Regenfälle aus, mit katastrophalen Folgen für die Nomaden, also auch die Tuareg, deren Herden weitestgehend vernichtet sind.
In der fast ausschließlich von Muslimen mit einem sehr toleranten Religionsverständnis bewohnten Region haben sich in den letzten zwanzig Jahren pakistanische und saudische Prediger breit gemacht, die den dogmatisch-fanatischen Wahhabismus vertreten und - auch dank finanzieller Förderung - bei perspektivlosen Jugendlichen Anhänger gewinnen.
Die medial bekannteste und wohl auch stärkste »terroristische« Gruppe ist die AQMI. Sie stammt von den so genannten Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), die einst im algerischen Bürgerkrieg nach den durch Putsch abgebrochenen Wahlen von 1992 vor allem gegen die Zivilbevölkerung wüteten. Dabei folgten sie einer vom algerischen Geheimdienst entwickelten, von Frankreich und den USA in den 60er und 70er Jahren vorgedachten Counter-Insurgency-(Aufstandsbekämpfungs)-Strategie.
Die GIA lösten sich 1999 auf, ein kleiner Teil von ihnen unter dem Namen Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) erlangte danach Aufmerksamkeit mit der Entführung von 32 deutschen, österreichischen und schweizerischen Touristen, die fast sechs Monate lang von Südalgerien durch Mali und Niger und wieder zurück nach Algerien verschleppt wurden. Anführer der Banditen war Amari Saifi alias El Para, ein Agent des algerischen Geheimdienstes. Er wurde 2004 von Tuareg gefangen genommen, an Gaddafi überstellt und von diesem an Algerien ausgeliefert. Dort soll er seitdem im Gefängnis sitzen, Prozesse gegen ihn wurden immer wieder vertagt.
Am 27. Januar 2007 benannte sich die Bande um in AQMI - ein international Furcht einflößendes Etikett. Die Antwort der USA kam postwendend: Am 7. Februar 2007 richteten sie ihr African Command (Africom) ein, dessen Ziel die Bekämpfung des Terrorismus in Afrika sein sollte. Zuvor schon hatten die USA mit ihrer Pan-Sahel-Inititative und mehreren Großmanövern unter dem Namen Flintlock ihren militärischen Ordnungsanspruch bekräftigt. Die Existenz von GSPC/AQMI rechtfertigte so einerseits den militärischen Griff der USA nach Afrika, andererseits war sie Grundstein für die seither enge militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit Algeriens mit den USA.
Die zweite im Sahel aktive Gruppe ist MUJAO (Bewegung für die Einheit und den Djihad in Westafrika). Sie wird geführt von dem Ex-AQMI-Kämpfer Mokhtar Belmokhtar, der auch den Angriff auf das algerische Gasfeld bei Ain Amenas am 16. Januar kommandiert haben soll. Es darf vermutet werden, dass die Abspaltung vorwiegend aus dem Streit um die Kontrolle der Pfründen resultiert, möglicherweise aber auch eine Art Arbeitsteilung zwischen den beiden Gruppen darstellt. MUJAO ist hauptverantwortlich für die unter Berufung auf die Scharia begangenen barbarischen Akte in der nordmalischen Stadt Gao.
Schließlich ist da noch Ansar el-Din (Unterstützer des Glaubens), eine vorwiegend aus Tuareg bestehende Truppe, die zuvor im Dienste Gaddafis stand. Ihr Führer ist der Targi Iyad Ag Ghaly.
Als säkulare Gruppe agiert in Mali die MNLA, die Bewegung für die Befreiung von Azawad, wie das Tuareg-Gebiet in Targi-Sprache heißt. Für eine kurze Zeit kämpften MNLA und Ansar el-Din gemeinsam. Die MNLA besteht nur aus einer kleinen Gruppe von Angehörigen eines Tuareg-Stammes. Sie wurde von französischen Diensten aufgebaut und genießt seit Anfang 2011 die uneingeschränkte Unterstützung Frankreichs. Ihr Name ist auch nicht Programm: Ihr Führer erklärte jüngst, sie kämpfe nicht für die Unabhängigkeit eines Tuareg-Gebiets. Inzwischen hat die Bewegung kaum mehr militärischen Einfluss und genießt bei der Tuareg-Bevölkerung keinen nennenswerten Rückhalt.
Warum also zieht Frankreich, das gerade seine Truppen aus Afghanistan abgezogen hat, in Mali nun genau jene Begründung heran, es müsse dem islamistischen Terror gegen die Bevölkerung ein Ende setzen? Gelänge es den Banden, die wohl auch den Vormarsch auf die Hauptstadt Bamako planten, in Mali Fuß zu fassen, könnten sie tatsächlich die Kontrolle über die gigantischen Energieressourcen der ganzen Region erlangen: In jüngster Zeit wurden im Raum von Mauretanien bis Niger große neue Öl- und Gasfelder entdeckt, an deren Ausbeutung vor allem die französische Total, die italienische ENI und die algerische SONATRACH (unter den weltgrößten Energiekonzernen auf Platz elf) beteiligt sind.
In Mali selbst gibt es Gold, Diamanten und Phosphat. Letzteres wird immer wichtiger für die weltweite Düngemittelproduktion. Und es gibt Hinweise auf erhebliche Öl- und Gasreserven sowie auf Vorkommen von Uran in der Region um Kidal. Damit schließt sich der Kreis: Wie in Mali, so gibt es in Niger ein Tuareg-Problem - und im ganzen Raum agieren AQMI & Co. Niger aber ist der drittgrößte Uranproduzent der Welt, Frankreichs über 80 Atomkraftwerke beziehen 70 Prozent ihres Brennstoffs aus Niger. Ausgebeutet wird das Uran unter unsäglichen Bedingungen für Mensch und Umwelt von dem halbstaatlichen französischen Unternehmen Areva, das sich auf seiner Homepage »größter Atomanlagenbauer der Welt« nennt.
Von Nigeria durch Niger und Algerien wird die riesige fast 4000 Kilometer lange Transsahara-Gas-Pipeline gebaut, die, finanziert von SONATRACH und Gazprom, von Nigeria zur algerischen Mittelmeerküste geführt wird. Der Sahel, und in seinem Zentrum Mali, ist daher von herausragender Bedeutung, zumal inzwischen auch China begonnen hat, in Niger Uran abzubauen: Die derzeitigen Geostrategien richten sich nicht nur auf die Kontrolle der Rohstoffe und ihrer Transportwege, sondern auch auf die Kontrolle der Fördergebiete und Transportwege der konkurrierenden Mächte.
Erstaunlich ist, dass in diesem Konflikt die USA bisher so gut wie nicht in Erscheinung treten: Mit Africom haben sie ein gewaltiges, offiziell eigens für die Terrorismusbekämpfung geschaffenes militärisches Instrument. Im Schlüsseljahr 2007 erklärten sie, ihre Ölzufuhr aus Afrika von damals 13 Prozent bis zum Jahre 2013 (!) auf 25 Prozent ihrer Gesamtimporte steigern zu wollen. Scheuen sie die Risiken eines zweiten Afghanistan in den endlosen Weiten der Wüste? lassen sie Paris in einen unlösbaren Konflikt laufen, oder lernen sie aus den Misserfolgen von Africom, das in Mali vier Anti-Terror-Einheiten ausgebildet hat, von denen drei zu den Rebellen übergelaufen sind, während die Reste von Malis Armee sich selbst bekriegen?
Im Interessengeflecht um die Ressourcenkontrollen erscheinen jenseits des um Diskretion bemühten China neue Akteure: Seit der Arabellion treten die Staaten des Golf-Kooperationsrats unter Führung von Saudi-Arabien und Katar massiv in die Weltpolitik ein. Sie waren es, die jene Entschließung in den Sicherheitsrat einbrachten, die dann die Resolution 1973 und die Verhängung der »Flugverbotszone« über Libyen zur Folge hatte. Sie sind es, die in Ägypten und Tunesien für die Verbreitung des Wahhabismus und die Unterstützung salafistischer Gruppen sorgen und die dschihadistische Nusra-Front in Syrien unterstützen.
Katar, der neue militärische Partner Frankreichs am Golf, lässt der militantesten Gruppe MUJAO mindestens finanzielle Unterstützung zukommen. So versuchen die arabischen Despotien, sich als zentrale Macht in der aufscheinenden multipolaren Welt zu positionieren, die die Ressourcen unter der Erde zumindest der sunnitisch- islamischen Länder kontrolliert. Die gezielte Unterstützung von »Terroristen« wird zum Angelpunkt geostrategischer Planspiele - ebenso wie deren mit medialem Spektakel betriebene Bekämpfung.
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