Promi sein - das will ich auch

In einer Streitschrift gegen Ruhm oder Bekanntheit um jeden Preis warnt Jens Bergmann »Wir inszenieren uns zu Tode«

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor etwa hundert Jahren war es noch sehr schwer, prominent zu werden. Durchschnittsbürger kannten Kaiser, Könige und andere bedeutende Adlige, vielleicht auch die Namen einiger berühmter Schriftsteller, Ärzte und Generäle, aber ihre Stimme gehört hatten die allerwenigsten. Fast nur Bildungsbürger lasen Zeitung, in denen obendrein nur wenige Fotos bekannter Menschen abgedruckt waren. Wären der Dichter Thomas Mann und der Komponist Richard Strauss kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs durch Berlin oder Frankfurt spaziert, hätte kaum ein Passant sie erkannt.

Heute werden selbst Menschen zu Stars, die sich in Wohncontainern beim Fummeln filmen lassen, in Dschungel-Camps Kakerlaken verspeisen oder es bei Gesangs-Wettbewerben ertragen, von einer Jury vor laufender Kamera wegen ihres schrillen Vortrags gedemütigt zu werden. Das davon berauschte Publikum findet so etwas derart zum Johlen, dass sich die Bohlen biegen. »Während früher Talent, unbedingter Glaube an eine Sache und Fleiß notwendig waren, um berühmt zu werden«, sei das »heute deutlich einfacher«, befindet der Journalist Jens Bergmann in seinem ebenso eindringlich wie elegant geschriebenen Buch »Ich, ich, ich«.

Thema darin ist der nervtötende Promi-Kult unserer Tage und der Drang so vieler Unbekannter, selber ganz groß rauszu- kommen, und sei es nur für ein paar Wochen oder gar Tage. Immer mehr Zuschauer wollen nicht mehr nur zuschauen, denn groß herauszukommen ist heute einfacher denn je. Ihr Wunsch ist schnell erklärt: »Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen«, schreibt der Architekt Georg Franck in seinem Buch über die»Ökonomie der Aufmerksamkeit«, aus dem Bergmann mehrfach treffend zitiert. Geld ist reizvoll, doch Ruhm noch mehr. Nicht mehr allein die Reichen grinsen von den Titelseiten der Boulevard-Presse, sondern die irgendwie Berühmten oder wenigstens Bekannten. Franck zufolge »verblasst der Reichtum neben der Prominenz«.

Wer von sich reden machen möchte, selber aber weder Filmstar ist, Symphonien komponiert oder einen Nobelpreis erhält, muss sich eben etwas einfallen lassen. In Frage kommt sehr gerne formschönes Silikon im Doppelpack. Die damit üppig präparierte Ramona Drews wusste sich im Jahr 2000 sehr spritzig zu inszenieren, indem sie während eines Fernseh-Interviews auspackte und eine ihrer Brüste molk - angespornt dazu von ihrem Gatten, dem Schlagersänger Jürgen Drews, der um den geldwerten Markteffekt solcher Enthüllungen selbstredend weiß.

Im Jahr darauf ließ Dieter Bohlens Ex-Partnerin »Naddel« vor laufender Kamera ihre linke Brust wiegen, auch wenn sie dabei nicht glücklich wirkte. Stefan Raab, Verbreiter von »TV total«, zeigt solche Höhepunkte deutschen Fernsehschaffens übrigens sehr gerne all jenen, die sie im Original verpasst haben. Die Brust wog übrigens 1,35 Kilo, ein gewichtiges Argument für weitere Fernsehauftritte.

Schlimm an solchen Szenen ist das fatale Vorbild, das von ihnen ausgeht. Während der Ulmer Kriminalbeamte Uwe-Kurt Schweigert bei Wim Thoelkes »Großem Preis« Mitte der 70er Jahre noch wirklich immens viel über Säugetiere wusste, also ein echter Experte war, hätte er im Fernsehen heute allenfalls noch eine Chance, wenn er die Penisse sämtlicher Affenarten am Geruch oder Afrikas Raubkatzen an ihrem typischen Kopulationsgeräusch erkennen würde. Noch besser wäre es freilich, ein moderner Spielshow-Kandidat ließe sich vor der Kamera das Gesicht seiner Freundin aufs Gemächt tätowieren.

Bergmann zufolge haben auch maßgebliche Persönlichkeiten heute keine andere Chance, als sich den Gesetzen der Mediengesellschaft zu unterwerfen, »wollen sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden«. Wer sich dem verweigere und nicht ständig »Ich, ich, ich« schreie, habe »schlechte Karten«. Es gelte die Formel: »Wer es - egal wie - schafft, über einen gewissen Zeitraum hinweg öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, gehört dazu.« Auf eine Kurzformel gebracht: »Prominent ist, wer prominent ist.«

Kapiert haben das gerade Pubertierende, die plötzlich nicht mehr recht wissen, warum man noch Mathe pauken oder Chemie lernen soll, um später einmal sein Glück zu machen. Wer als Gesangstalent nicht mithalten kann, gibt sich ersatzweise verrückt und schrill; wer den ersehnten Buchvertrag nicht bekommt, provoziert erst mal einen zünftigen Skandal; und wer einen hübschen Po vorzuweisen vermag, ölt ihn ein und stellt das Gesäß in drittklassigen Sendungen zur Schau. Den Namen solcher Leute braucht sich keiner zu merken, denn kurz danach wird die nächste Sau durchs Fernseh-Dorf getrieben, Nachschub gibt es ja zuhauf.

Jens Bergmann geht das alles mächtig auf den Zeiger. Er habe ein »böses Buch mit einem guten Zweck« geschrieben, sagt der gebürtige Hannoveraner. Prominente hätten heute eine ungeheure und viel zu große Bedeutung. Es gebe keine Sphäre mehr, »in der sich Mr. und Mrs. Wichtig nicht tummeln und spreizen«. Und nie zuvor habe es so viele gewöhnliche Menschen gegeben, die ins Rampenlicht drängen. Auch sei das Geschäft mit der Prominenz, das viele Journalisten bereitwillig mitbefeuern, »in weiten Teilen zutiefst unmoralisch«, findet der studierte Psychologe. Ihn treiben die Folgen um, »wenn eine Gesellschaft, in der es angeblich um Leistung geht, Blendern, Dampfplauderern und Gummipuppen so viel Aufmerksamkeit schenkt«.

Vor allem bei Privatsendern, aber nicht nur bei ihnen, gelte heute die Maxime »Prominenz schlägt Relevanz«. Das sei »ein schlechtes Zeichen für unsere Mediengesellschaft«, sagt Bergmann. Locker schafft es heute ein silikonverstärktes Model wie Daniela Katzenberger mit seinem Buch auf die Bestseller-Liste und brüstet sich im Internet damit, den Führerschein erst im dritten Anlauf und nach 51 Fahrstunden geschafft zu haben. Das kann einem passieren, aber noch vor 30 Jahren hätte man gehofft, das nirgends über sich lesen zu müssen.

Wer heute schamhaft ist, hat schon verloren. Paris Hilton, Katie Price und die anderen Katzenbergers dieser Welt geben ein heikles Vorbild für Teenager ab und machen gerade junge Ladies völlig gaga. Doch der Promi-Kult schadet letztlich auch den Prominenten selbst, zumindest den für Größenwahn besonders anfälligen unter ihnen. »Sie werden von ihrer Entourage, von Journalisten und Fans, ständig begleitet, jeder Schritt, den sie tun, jeder noch so banale Satz, den sie sagen, findet Beachtung«, beklagt Bergmann. So setze sich bei ihnen der Eindruck fest, »ungeheuer wichtig zu sein«. Bleibt die rasch süchtig machende Aufmerksamkeit irgendwann aus, droht der Absturz.

Das ist so, weil unter Prominenten dröhnende Selbstdarsteller übernormal häufig sind. »Nachdenkliche, ängstliche und nach innen gekehrte Zeitgenossen, Zweifler, Grübler und Tüftler, die ganz in ihrer Arbeit aufgehen«, seien im Promi-Zirkus »eher selten vertreten«, schreibt Bergmann. Solche Menschen drängt es halt nicht auf die Mattscheibe, um sich dort zum Affen machen zu lassen. Doch leider verbreite sich Narzissmus seit einer Weile epidemisch. »Die Eitelkeitsgesellschaft, das sind wir alle.« Wir könnten uns entweder »zu Tode inszenieren. Oder uns dem wirklichen Leben zuwenden«. Wir haben die Wahl, auch am Kiosk, im Netz und vorm Fernsehgerät.

Jens Bergmann: »Ich, Ich, Ich. Wir inszenieren uns zu Tode«. Metrolit Verlag, geb., 228 S., 17,99 €.

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