Der Fall Gbagbo und die Siegerjustiz

Erstmals muss sich ein ehemaliger Staatschef vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Erstmals steht am Dienstag ein ehemaliger Staatschef wegen des Vorwurfes von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Laurent Gbagbo, einst Präsident von Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), soll indirekt verantwortlich sein für Mord, Vergewaltigung und Verfolgung während der Gewaltwelle, die das westafrikanische Land nach Wahlen vom Dezember 2010 bis April 2011 erschüttert hat. Etwa 3000 Menschen starben damals.

Von einem Meilenstein in der gut zehnjährigen Geschichte des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) ist oft die Rede, wenn auf seinen neuen Prozess verwiesen wird. Die Premierenverhandlung in Den Haag fand 2009 im Verfahren gegen Thomas Lubanga statt. Dem Gründer und Führer einer bewaffneten Miliz in der DR Kongo wurde zur Last gelegt, zwangsrekrutierte Kinder in kriegerische Konflikte gezwungen zu haben. Das im Vorjahr verkündete Urteil: 14 Jahre Freiheitsentzug. Schon zuvor hatte der damalige Chefankläger Luis Moreno-Ocampo erstmals Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt beantragt. Doch der sudanesische Staats- und Regierungschef Omar Hassan Ahmad al-Baschir befindet sich noch immer auf freiem Fuß.

Nun steht mit Laurent Gbagbo erstmals ein Ex-Präsident vor den Richtern. Mord, Vergewaltigung, Verfolgung - für diese »schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganze« berühren, soll der einstige Staatschef von Côte d'Ivoire als »indirekter Mittäter« politische Verantwortung tragen. Einst galt der Geschichtsprofessor vielen in der Elfenbeinküste als Märtyrer. Mehrmals musste er wegen seiner sozialistisch orientierten Überzeugungen ins Gefängnis; jahrelang kämpfte er im französischen Exil gegen die Militärjunta in seiner Heimat. Doch als er 2000 zum Präsidenten gewählt wurde, führte das zu blutigen Kämpfen.

Hintergrund des Falls Gbagbo

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ist eine eigenständige internationale Organisation, deren Beziehung zu den Vereinten Nationen über ein Kooperationsabkommen geregelt wird. Er ist nicht mit dem Internationalen Gerichtshof oder dem umgangssprachlich als »UN-Kriegsverbrechertribunal« bezeichneten Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien zu verwechseln. Der IStGH ist zuständig, wenn Delikte nicht auf nationaler Ebene geahndet werden können; er darf nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen. Das Gericht verfolgt Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Verbrechen des Angriffskriegs. Letztgenanntes Delikt wurde erst im Juni 2010 vertraglich definiert. Der Artikel ist noch nicht in Kraft getreten, sodass es erst verfolgt werden kann, wenn mindestens zwei Drittel der Vertragsstaaten die auf der Überprüfungskonferenz von Kampala fixierten Bestimmungen ratifiziert haben.

Das unabhängige »Weltstrafgericht« wurde auf der Grundlage des Römischen Statuts errichtet. Dieser Vertrag über das Völkerstrafrecht wurde am 17. Juli 1998 angenommen und trat am 1. Juli 2002 in Kraft; im Juni 2003 nahm das Gericht seine Arbeit auf. Inzwischen wurde das Statut von 121 Staaten ratifiziert, darunter alle EU-Staaten. Wichtige Länder wie die USA, Russland, China oder Israel verweigern sich bisher.

Präsident des Gerichtes mit rund 700 Mitarbeitern und einem Etat von über 100 Millionen Euro ist der südkoreanische Richter Sang-Hyun Song, Chefanklägerin seit dem Vorjahr die Juristin Fatou Bensouda aus Gambia. Sta

Auch nach dem Urnengang im Jahr 2010 erklärte sich Gbagbo zum Sieger, obwohl die Wahlkommission seinen Herausforderer Alassane Ouattara vorn sah. Was folgte, war erneut ein monatelanger Gewaltexzess. Die Kämpfe zwischen den Lagern, bei denen schwere Waffen gegen Zivilisten eingesetzt wurden, haben Tausende Todesopfer gefordert. Bis Ende März 2011 waren über eine Million Menschen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Am 11. April 2011 wurde Gbagbo nach einem umstrittenen französischen Militäreinsatz verhaftet. Der international anerkannte Wahlsieger Ouattara hatte zuvor auch Unterstützung durch UN-Blauhelmsoldaten erhalten. Gbagbo wurde im November 2011 dem Weltstrafgericht in Den Haag übergeben.

Von den 193 UN-Mitgliedstaaten sind inzwischen 121 seinem Gründungsvertrag beigetreten. Zu den 32 Staaten, die das sogenannte Römische Statut unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben, gehört auch Côte d'Ivoire, das die Gerichtsbarkeit des IStGH aber ausdrücklich akzeptiert. Allerdings ist dessen Vorgehen wie das des amtierenden ivorischen Präsidenten Ouattara umstritten. Denn während Gbagbo und seine engsten Vertrauten national wie international strafrechtlich verfolgt werden - so wurden 55 Getreue in der Elfenbeinküste unter Anklage gestellt -, bleiben die Menschenrechts- und Kriegsverbrechen des Gegenlagers bisher ungesühnt. Dabei sind viele Gräueltaten dokumentiert, allen voran das Massaker von Douekoue, bei dem Ouattara-Soldaten nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz 800 Menschen brutal ermordet haben.

Von Siegerjustiz sprechen Kritiker. »Wir fordern die Behörden auf, nicht nur Gbagbo-Anhänger ins Visier zu nehmen. Gerechtigkeit kann sich nicht in zwei Geschwindigkeiten fortbewegen. Die Anhänger von Ouattara haben auch Verbrechen begangen, deshalb müssen auch gegen sie Haftbefehle ausgestellt werden«, fordert Ali Ouattara, Chef der Ivorischen Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof. Doch verfüge Côte d'Ivoire nicht über die juristischen Kapazitäten, um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden. Das müsse das Haager Weltgericht tun.

Nicht wenige Menschenrechtsorganisationen klagen, dass in dem ersten Jahrzehnt seiner geradezu euphorisch begrüßten Existenz nicht allzu viel erreicht wurde. Dem Gerichtshof wird zähe Bürokratie und Ineffektivität vorgeworfen, wurden doch erst zwei Prozesse abgeschlossen. Und eine auffällige Einäugigkeit: Seit seiner Gründung hat das IStGH 18 Verfahren eingeleitet, alle auf dem schwarzen Kontinent. Kein Wunder, dass ihm nicht nur aus afrikanischen Ländern Neokolonialismus vorgeworfen wird - was die Chefanklägerin Fatou Bensouda aus Gambia indessen vehement zurückweist.

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