Der Goldrausch geht zu Ende
Rumäniens Schlachtindustrie profitierte bislang von der großen Nachfrage aus Westeuropa
Michai T. hat genug. Der 28-Jährige hat fast acht Jahre als Schlachter gearbeitet, davon zweieinhalb in einem Schlachthaus in der Nähe von Bukarest. »Ich habe vom Pferdefleischskandal gehört. Aber es ist dumm, Rumänien dafür verantwortlich zu machen«, sagt er.
Für Michai T. liegt der Skandal anderswo: »Die Löhne sind viel zu niedrig, vor allem in den kleineren Schlachthäusern.« Er erhalte gerade mal 1100 Lei (250 Euro) pro Monat, obwohl er diplomierter Metzger sei. In seinem Arbeitsvertrag habe gestanden, dass Überstunden bezahlt würden. »Aber die Eigentümer kümmern sich nicht darum. Wer sich beschwert, fliegt raus.« Michai T. hat zwischen neun und zehn Stunden täglich gearbeitet, an sechs Tagen in der Woche. Nur ganz wenige Schlachter haben bis zu 2000 Lei verdient.
Da kommt die wachsende Nachfrage nach Schlachtern in Westeuropa gerade recht. Mihai T. stellte seinen Lebenslauf ins Internet und hatte Glück. Ab März wird er in Manchester arbeiten - für 1500 Euro plus freier Verpflegung und freier Unterkunft sowie Reisegeld. Kollegen von ihm sind nach Schottland, Italien oder Deutschland gegangen.
In einem Punkt lässt Mihai T. aber nichts auf seine alten Arbeitgeber kommen: Am Pferdefleischskandal seien die rumänischen Schlachthäuser nicht schuld. »Die Kontrollen für jede einzelne Tonne Fleisch, die das Schlachthaus verlässt, sind viel zu strikt dafür.« Wenn die staatlichen Kontrolleure Fehler fänden, würden die Geldbußen bei 700 Euro beginnen. Das sei schmerzhaft für die genau kalkulierenden Schlachthausbesitzer.
Auch Alina Monea weist jede Verstrickung des Landes in den Pferdefleischskandal zurück. Nur 35 rumänische Schlachthäuser hätten das Recht, Pferdefleisch zu verarbeiten. Es sei absolut unmöglich, dass Rindfleisch als Pferdefleisch ausgezeichnet worden sei, sagt die Sprecherin der staatlichen Lebensmittelbehörde ANSVSA. Die Herkunft des Fleisches werde mit einer klaren Kette von Dokumenten nachverfolgt. Pferde würden mit Mikrochips eindeutig gekennzeichnet, Rinder mit Ohrmarken.
Die Wirtschaftskrise hatte den Pferdeschlachtern in den vergangenen Jahren einen Aufschwung beschert. »Immer wieder kamen Bauern vom Land, um uns ihre Pferde zu bringen«, sagt Mihai T. »Die Tiere konnten nicht mehr arbeiten, und die Bauern konnten es sich nicht mehr leisten, die Tiere zu füttern.«
Auch gemäß den offiziellen Statistiken hat der Export von Pferdefleisch in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Laut der ANSVSA wurden 2011 insgesamt 5824 Tonnen reines Pferdefleisch exportiert - mehr als Rindfleisch. 2012 waren es bereits 6300 Tonnen. Und im Januar 2013, also im Monat des Ausbruchs des Pferdefleischskandals, waren es schon 644 Tonnen. Der Großteil der Exporte - 96,6 Prozent - geht nach Deutschland, Italien, Polen, Belgien, Griechenland und Bulgarien.
Doch allmählich geht der Goldrausch zu Ende. Im Jahr 2005 gab es in Rumänien 840 000 Pferde im Land. Inzwischen sind es nur noch 592 000. Viele Bauern können sich den Unterhalt der teuren Tiere nicht mehr leisten. Noch dienen Pferde vor allem als Transportmittel. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt auf dem Land, da sind Pferdefuhrwerke noch immer unersetzlich. Deshalb dienen noch heute 300 000 Tiere als Kutschpferde. Die Zahl der Tiere, die in Europas Tiefkühlprodukten enden können, ist daher begrenzt.
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