Was tun gegen Hartz IV?
Tagung suchte nach Strategien und neuen Handlungsoptionen
Was macht eine Milchbäuerin auf einer Fachtagung zum Thema menschenwürdiges Existenzminimum? Johanna Böse-Hartje von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist an diesem Montag nicht nur Gast, sondern auch Rednerin. Kurz und knapp erläuterte die Norddeutsche, warum Hartz IV und Niedriglöhne auch den Bauern zu schaffen machen. »Wenn die Menschen so wenig Geld haben, dass sie nur noch bei Discountern einkaufen können, dann geraten auch die Bauern unter Druck«. Alles drehe sich um Kostenreduzierung. »Das geht zu Lasten der Tiere und führt zu Umweltbelastungen, weil wir alles was geht aus den Böden rausholen müssen«, so Böse-Hartje.
Die mehr als 200 Teilnehmer der Konferenz im Berliner Sitz der Diakonie nickten beifällig. Hartz IV wirkt eben auf vielen Ebenen. Und so setzt sich das »Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum« aus ganz unterschiedlichen Akteuren zusammen. Von der bereits erwähnten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft über Volkssolidarität und DGB bis hin zur Arbeitslosenselbsthilfe.
Allerdings wurde auf der Konferenz auch deutlich, dass diese Bandbreite den Konsens schwieriger macht. So manch ein Teilnehmer in den Workshops kritisierte die »weichen« Forderungen des Bündnisses. Erst im Dezember 2012 hatte man einen gemeinsamen Forderungskatalog aufgestellt. Unter anderem will das Bündnis »eine methodisch saubere, transparente Ermittlung der Regelsätze«.
Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) verteidigte die allgemein gehaltenen Vereinbarungen. »Andernfalls besteht doch die Gefahr, dass wir in Details steckenbleiben«. Es sei ein großer Erfolg, dass ein Bündnis aus so unterschiedlichen Gruppen überhaupt zusammengefunden habe. »Wir müssen erst einmal zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung werden«, unterstrich Grüner.
Auch Rudolf Martens vom Paritätischen Wohlfahrtsverband betonte, dass man zuerst bei den Bürgern »ein Bewusstsein für die Problematik« schaffen müsse. Bislang hinterfrage kaum jemand die Hintergründe für die Kürzungspolitik. »Wir müssen die eigentlichen Interessen sichtbar machen«, so Martens. Das Bild vom faulen Arbeitslosen, das Medien und Politik nur allzu gerne zeichnen, hält sich hartnäckig im Bewusstsein vieler Bundesbürger.
Martens verwies zudem auf die großen regionalen Unterschiede. So machten die Leistungen zum Existenzminimum in Teilen Süddeutschlands nur 0,3 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts aus, während es im Osten bis zu 5 Prozent seien.
Alfred Spieler, sozialpolitischer Referent der Volkssolidarität, machte einen grundsätzlichen Fehler in der Hartz-Logik aus: »Bei der Berechnung der Regelsätze muss berücksichtigt werden, dass Hartz IV für viele keine vorübergehende Notlage ist«, so Spieler. Stattdessen blieben Millionen jahrelang im Bezug. Insbesondere Ältere, Alleinerziehende oder Kranke sind auf dem ersten Arbeitsmarkt nahezu chancenlos.
Hartz IV ist das einigende Band der Bewegung, die auf der Berliner Tagung »übergreifenden, gemeinsamen Interessen nachspüren« wollte, »um zusammen handlungsfähig(er) zu werden«. Zumindest bei der Problemanalyse herrschte weitgehend Einigkeit. Doch schon bei der Aktivierung der Hartz-IV-Betroffenen hapert es. So meinte ein Gewerkschafter aus Wolfsbug, er habe oft das Gefühl, »die wollen das gar nicht«.
Vielleicht müssen andere Ansätze her. Linksparteichefin Katja Kipping plädierte während der abschließenden Diskussion dafür, die »Wehrhaftigkeit der Betroffenen zu unterstützen«. Etwa indem man Hartz-IV-Bezieher bei ihrem Gang zum Amt begleite. Auf dem Podium zeigten sich auch erschreckende Defizite bei der politischen Konkurrenz. So wusste der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Schiewerling weder auf welcher Grundlage man die Regelsätze berechnet noch dass die Sonderbedarfe für Hartz-IV-Bezieher beinahe vollständig gestrichen wurden. »Der Junge hat ja kein Ahnung«, rief ein Zuhörer. Peinlich. Immerhin sitzt Schiewerling im für Hartz IV zuständigen Ausschuss für Arbeit und Soziales.
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