Livnis Alleingang verbittert ihre Kollegen
Israels Premier Netanjahu hat eine Koalitionspartnerin, aber das reicht noch nicht zum Regieren
Im Westjordanland lieferten sich am Donnerstagmorgen israelische Soldaten und palästinensische Jugendliche eine Straßenschlacht, nachdem das Militär versucht hatte, eine Demonstration aufzulösen. In Jerusalem trat derweil zum wiederholten Male innerhalb der vergangenen beiden Tage die frühere Außenministerin Zippi Livni vor die Mikrofone der Journalisten und sprach davon, wie notwendig es sei, die Verhandlungen mit der Führung der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah wieder aufzunehmen. daraus leitete sie ab, dass ihre Beteiligung an der Regierung »alternativlos«, ja sogar »die Erfüllung einer nationalen Verantwortung« sei: »Die Situation ist ernst«, sagte Livni, »und es ist meine Pflicht, daran zu arbeiten, sie zu verbessern.«
Sie sagt »meine«, nicht »unsere Partei«. Es sei so, als gebe es gar keine Partei, kritisierte Amram Mitznah. Der ehemalige Bürgermeister von Haifa und kurzzeitige Vorsitzende der Arbeitspartei ist die Nummer zwei auf der Liste von Livnis Partei HaTnuah (»Die Bewegung«) - und derzeit gar nicht gut auf die Vorsitzende zu sprechen: »Es wäre das Mindeste gewesen, wenn sie das alles mit uns abgesprochen hätte.« Tatsächlich aber erfuhren die sechs Abgeordneten der Partei am Dienstag aus den Medien, dass Livni einen Koalitionsdeal mit dem rechtskonservativen Parteienbündnis des amtierenden Premierministers Benjamin Netanjahu geschlossen hat. Und sie erfuhren, dass Livni Justizministerin werden und zudem künftige Verhandlungen mit den Palästinensern koordinieren soll. Für Amir Peretz, Listenplatz drei und während des Libanonkrieges im Sommer 2006 Verteidigungsminister, sieht das Abkommen das Amt des Umweltministers vor.
Doch was die Fraktion mehr noch erzürnt als die Tatsache, dass sie komplett übergangen wurde: »Umwelt und Verhandlungen sind für uns Herzensangelegenheiten«, sagt Mitznah, »und Livni hat zwar die Ämter besorgt, aber auch zugelassen, dass bei allem, was wir tun, Netanjahu das letzte Wort hat.«
Der erste Koalitionsvertrag, den Netanjahu einen Monat nach der Wahl unterzeichnet hat, steht also unter einem schlechten Stern - und das in einer Situation, in der die Regierungsbildung noch sehr viel schwieriger ist als das am Ende der Wahlnacht ohnehin ausgesehen hatte. Damals hatte man das Ergebnis noch in Links- und Rechts-Blöcke aufgeteilt: Rechts-Religiös kam demnach auf 61 Mandate, Links-Zentrum-Arabisch auf 59. Heute ist es so, dass man die Situation nicht mehr so einfach betrachten kann. Innerhalb des Parlaments haben teils über die Blockgrenzen hinweg Minikoalitionen gebildet, die Netanjahus Chancen verringern, eine Mehrheit zu erhalten.
So schloss die Neupartei Jesch Atid, die eigentlich im Zentrum-Links-Spektrum angesiedelt worden war, einen Pakt mit der Siedlerpartei Habajit Hajehudi: Koalition entweder gemeinsam oder gar nicht - wobei erschwerend hinzu kommt, dass Jesch-Atid-Chef Jair Lapid eine Koalition mit der religiösen Schas ausgeschlossen hat, die wiederum einen Deal mit der Vereinigten Torah-Union vereinbart hat. Im Kern geht es dabei um die Dienstpflicht für ultraorthodoxe Juden: Die religiösen Parteien sind strikt dagegen; Teile des Likud-Blocks von Netanjahu auch. Für HaBajit HaJehudi und Jesch Atid ist sie hingegen Bedingung.
Noch schwieriger wird die Koalitionsbildung allerdings durch die Verhandlungsfrage: Durch das Geschäft mit Livni hat sich Netanjahu vor allem von HaBajit HaJehudi entfernt, wo solche Verhandlungen ausgeschlossen werden. Die Hintertür, die sich der Premier dabei offen gehalten hat, wird - so viel ist nun klar - bei der HaTnuah-Fraktion nicht durchzusetzen sein: »Wir sind kein Feigenblatt«, sagt Mitznah, und verweist darauf, dass Netanjahu ja bereits bei den anderen Parteien damit werbe, die Sache mit den Verhandlungen sei nur pro forma, einen Friedensdeal werde es unter »Bibi III« - Bibi ist Netanjahus Spitzname - nicht geben.
Netanjahu bleibt nun knapp mehr als eine Woche, eine Koalition zu bilden. Falls niemand nachgibt, geht die Sache entweder in die 14-tägige Verlängerung. Oder jemand anderes wird sein Glück versuchen dürfen. So oder so: Es wird schwer.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.