Der Robin Hood der Arbeitslosen

Anwalt deckt Sozialgericht Cottbus mit Klagen ein

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
2012 stieg die Zahl der eingehenden Fälle am Sozialgericht Cottbus - ganz gegen dem Brandenburger Landestrend - von 7700 auf 9300. Dafür gesorgt hat vor allem Thomas Lange. Er gilt als Robin Hood, der den Jobcentern in Südbrandenburg im großen Stil Geld abjagt und es an die Langzeitarbeitslosen verteilt.

Während seines Studiums an der Universität Potsdam hatte Rechtsanwalt Thomas Lange keine Ambitionen, sich später mit dem Sozialrecht zu beschäftigen. Er interessierte sich für das Strafrecht. Doch als er seine Kanzlei im südbrandenburgischen Großräschen übernahm, kam alles anders. Jetzt gilt Lange als Robin Hood, der den Jobcentern in Südbrandenburg im großen Stil Geld abjagt und es an die Langzeitarbeitslosen verteilt.

Der Vergleich hinkt natürlich und Lange sieht sich auch nicht als der Rächer vom Sherwood, sondern weiterhin als Rechtsanwalt. Tatsache ist jedoch: Er hat im vergangenen Jahr quasi im Alleingang dafür gesorgt, dass die Zahl der eingehenden Fälle am Sozialgericht Cottbus von 7700 auf 9300 gestiegen ist. Dagegen hatten die anderen brandenburgischen Sozialgerichte einen Rückgang zu verzeichnen.

Verantwortlich für die Lage in Cottbus sei ein einzelner rühriger Anwalt, der Tausende Klagen eingereicht habe, hatte Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts, am Jahresanfang erklärt. Den Namen verriet sie nicht. Aber dieser Anwalt ist Thomas Lange.

»Hochgradig inkompetent«

Als 33-Jähriger hatte er 2003 ein Jurastudium begonnen und es 2007 abgeschlossen. Damals ging er davon aus, ein Wald- und Wiesenanwalt ohne Spezialisierung zu werden. Die Karriere als streitbarer Hartz IV-Anwalt begann mit einem Zufall. Ein Mandant hatte von seinem Vermieter eine Betriebskostenabrechnung erhalten und sollte 125 Euro nachzahlen, erinnert sich Lange. Mit einer nicht nachvollziehbaren Methode hatte das Jobcenter dem Mandanten jedoch vorgerechnet, dass er dem Vermieter zwar die 125 Euro geben müsse, zugleich aber dem Jobcenter 85 Euro.

»Derartige Zahlenakrobatik wendet das hiesige Jobcenter immer wieder an«, beschwert sich der Rechtsanwalt. Zunächst hatte er geglaubt, dass es sich um einen Einzelfall handelt. »Nach zwei Jahren musste ich aber feststellen, dass ich mich geirrt hatte. Verachtender Umgang mit den Betroffenen, hochgradig inkompetente Mitarbeiter, rechtswidrige Dienstanweisungen und eine Arbeitsweise, die mit rechtsstaatlichem Verwaltungshandeln nichts mehr zu tun hat, haben offenbar bei den Jobcentern System.«

Wer jahrelang behördlicher Willkür ausgesetzt sei, entwickele Selbstzweifel und werde psychisch krank, findet Lange. Er fordert die Betroffenen auf: »Lassen Sie sich nicht kaputt spielen. Wenn Sie sich vom Jobcenter betrogen fühlen, können Sie fast sicher sein, dass Sie auch betrogen werden.« 80 Prozent aller Bescheide seien falsch. Die Leute sollen sich wehren und seine Kanzlei anrufen.

Zunächst sprach sich Thomas Langes Name durch Mundpropaganda unter den Klienten der Jobcenter herum. Nachdem er seine Erfahrungen in einem kostenlos verteilten Wochenblatt schilderte, konnte er sich vor Anfragen kaum noch retten. Die Kanzlei in Großräschen wurde zu klein, eine Filiale in Lübbenau wurde eröffnet.

Flut von Widersprüchen

Rechtsanwalt Lange betreibe eine »aggressive Werbung«, bei der die Arbeit im Jobcenter diffamiert werde, beklagt sich Hans-Jörg Milinski. Er ist stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz und betont, dass seine Untergebenen »in den meisten Fällen« korrekte Bescheide erstellen. Es sei nicht auszuschließen, dass auch fehlerhafte Bescheide ergehen, räumt Milinski ein. Verantwortlich dafür macht er beispielsweise die unklare Rechtslage. Auch komme es vor, dass wichtige Unterlagen zu spät eingereicht werden. Das Jobcenter setze aber alles daran, die Zahl der Fehler zu verringern, unter anderem durch Schulung der Mitarbeiter und Auswertung von Fehlentscheidungen.

Der Geschäftsführer wirft dem Rechtsanwalt vor, das Jobcenter mit Widersprüchen zu überschütten, so dass dieses dann nicht mehr in der Lage sei, die Widersprüche in der gesetzlichen Frist von drei Monaten abzuarbeiten. Dann erhebe Lange eine Untätigkeitsklage und gewinne sie, erzählt Milinski.

Im Kollegenkreis ist der Anwalt wegen seiner Vorgehensweise umstritten. Dass er wegen seiner vielen Mandanten beneidet wird, vermag er sich allerdings nur schwer vorzustellen. Das wäre unbegründet, sagt er. Wer sich mit Hartz IV beschäftigen wolle, habe als Rechtsanwalt in den nächsten Jahren genug zu tun, so Lange. Viele Kollegen möchten dies aber nicht.

Seit Jahren ausgebucht

Mit den meisten Hartz IV-Klagen verdient die Kanzlei in Großräschen gegenwärtig 57,12 Euro brutto. »Dafür würden andere Rechtsanwälte wohl kaum arbeiten«, sagt der Chef. Nur schätzungsweise fünf Prozent des Umsatzes mache die Kanzlei über die Prozesskostenhilfe.

Zu 90 Prozent seiner Anwaltstätigkeit ist Thomas Lange mit dem Komplex Hartz IV beschäftigt. Eigentlich sei er schon seit Jahren ausgebucht, berichtet er. Doch wenn neue Mandanten mit ihren Problemen zu ihm kommen, möchte er sie auch nicht wegschicken. Zwei Gehilfen beschäftigt er und in Teilzeit einen Informatiker, seit einigen Monaten auch noch eine Juristin. Arbeit hätte er für vier Juristen. Doch es komme durch die Verfahren nicht genug Geld herein, um mehr Mitarbeiter bezahlen zu können, bedauert er.

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