Havanna hielt den Atem an
Das Volk hatte es schon geahnt - dennoch bewegt Chávez' Tod Kuba
Es war gegen 16 Uhr Ortszeit am Dienstag in Alt-Havanna. Der Lärm in der Hauptgeschäftsstraße Obispo ebbte auf einmal ab, zwei, drei Sekunden lang. Dann hörte ich: »Chávez ist tot!« Die Betriebsamkeit erstarrte völlig. So etwas habe ich noch nie erlebt. Für einen Moment herrschte beinahe Stille. Dann wieder: »Chávez ist tot! Alle Fernsehkanäle übertragen es aus Caracas.« Ist Chávez wirklich tot? Mit so etwas scherzt man nicht. Die Leute stehen starr. Einige Frauen weinen, dann bewegen sich die Leute wieder.
Als der venezolanische Präsident vor zwei Wochen bat, man möge ihn nach Caracas fliegen und das kubanische Ärzte-Team nicht widersprach, ahnten wir, dass er zu Hause sterben wollte, denn die Kommuniqués waren besorgniserregend - immer wieder Rückfälle, zweieinhalb Monate nach der Operation. Die Qualität der kubanischen Medizin ist weltweit anerkannt. Dass es trotzdem um den Patienten nicht besser stand, ließ die Hoffnungen schrumpfen.
Am Montag hatte der venezolanische Minister für Kommunikation und Information, Ernesto Villegas, Millionen hierzulande erschreckt, als er nach seinem Besuch im Militärhospital erklärte, das allgemeine Befinden des Präsidenten sei »sehr ernst«, er klammere sich an Christus und das Leben. Da machte man sich hier in Kuba darauf gefasst, dass dem »am meisten gehetzten Patienten in der Geschichte unseres Landes«, so der venezolanische Vizepräsident Nicolás Maduro, nur noch Tage, womöglich nur noch Stunden blieben.
Auf der Straße fragte ich Leute nach ihrer Stimmung. Rakel Leyva, 29, Rechtsanwältin, sagt: »Chávez hätte es verdient, wieder gesund zu werden. Es wird schwierig sein, ihn zu ersetzen.« Adnier, 28, privater Uhrmacher, meint: »So einen wie ihn wird es so bald nicht wieder geben. Ich habe an zwei Gottesdiensten für ihn teilgenommen - es hat nicht geholfen, obgleich er doch so ehrlich gottesfürchtig war.«
Auch Yuleiski Padrón, eine 24-jährige Köchin, gewährt Einblick in ihre Gefühlslage: »Ich stelle mir Fidel vor, wie er jetzt leidet. Chávez war ja wie sein Sohn. Seitdem wir gehört haben, dass es Chávez so schlecht geht, brannten auf unserem Hausaltar Tag und Nacht die Kerzen.« Arnol Martín, 73, Streitkräftemajor im Ruhestand, betont: »Chávez hat uns nie im Stich gelassen«.
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