Pjöngjang und der atomare Erstschlag
Auch die Militärdoktrin der USA sieht den Ersteinsatz von Kernwaffen vor
Die Ausweitung der Sanktionen gegen Nordkorea durch den UN-Sicherheitsrat waren am Donnerstag noch gar nicht verkündet, da fuhr man in Pjöngjang das denkbar schwerste verbale Geschütz auf: 23 Tage nach dem dritten Atomtest des Landes drohte ein Sprecher des Außenministeriums Washington quasi mit einem nuklearen Erstschlag: »Weil die USA einen Atomkrieg entfachen wollen, werden wir unser Recht auf einen nuklearen Präventivschlag gegen das Hauptquartier der Aggressoren wahrnehmen.« Ein Satz, in den sich auch Südkorea einbezogen sieht, nachdem Pjöngjang auch noch den Nichtangriffspakt mit dem Nachbarn aufkündigte und das Komitee für eine friedliche Wiedervereinigung Koreas gestern den »Heißen Draht« zum Süden kappte. Der Verbindungskanal im Grenzort Panmunjom werde geschlossen, hieß es in den offiziellen Medien. Bereits 2009 hatte die damalige Führung alle innerkoreanischen Abkommen über Entspannung für nichtig erklärt. Der Aussöhnungsvertrag von 1992 enthält u.a. einen Nichtangriffspakt und sieht Schritte zur militärischen Entspannung vor.
In Seoul verweist man darauf, dass Nordkorea zuletzt Truppenübungen von »beispielloser Intensität« durchgeführt habe. Dazu seien U-Boote, Kampfjets und Spezialeinheiten mobilisiert worden. Mit geschätzten 1,2 Millionen Soldaten unterhält das wiederholt von Hungersnöten geplagte Nordkorea eine der größten Armeen Asiens. In Pjöngjang wiederum fühlt man sich durch das am 1. März begonnene, zwei Monate andauernde Frühlingsmanöver der südkoreanischen Streitkräfte mit US-Einheiten unter der Bezeichnung »Foal Eagle« akut bedroht und unterstellt beiden Ländern, ihrerseits einen Nuklearangriff vorzubereiten. Die USA haben in Südkorea etwa 28 500 Soldaten stationiert.
»Die Vereinigten Staaten sind voll und ganz in der Lage, sich gegen nordkoreanische Raketendrohungen zu verteidigen«, erklärten die Sprecher von Weißem Haus und Außenministerium am Donnerstag wortgleich. Was im Fall der Fälle auch eine atomare Option einschließen würde. Denn die USA haben nach Ende des Kalten Kriegs keineswegs ihren Verzicht auf den nuklearen Erstschlag erklärt. Die Abschreckung durch eine solche Option ist weiterhin Bestandteil der Washingtoner Militärdoktrin. Die sieht zudem einen »atomaren Schutzschild« für die Nichtatommächte unter den NATO-Verbündeten sowie für Australien, Japan und eben Südkorea vor.
Ausgeschlossen wäre der Ersteinsatz von Kernwaffen gegen Nichtatommächte, die dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind. Aber auch hier gibt es Ausnahmen – nämlich Angriffe gegen das Territorium, die Bevölkerung oder die Armee der Vereinigten Staaten oder ihrer Partner durch eine Nichtatommacht, die in dem Konflikt mit einer Atomwaffenmacht verbündet ist. In den nuklearen Arsenalen der USA, die den Atomteststoppvertrag noch immer nicht ratifiziert haben, finden sich nach jüngsten Angaben der »New York Times« mindestens 1700 einsatzfähige Atomsprengköpfe.
Nordkorea, das sich nach einer Verfassungsänderung im Vorjahr selbst offiziell als Nuklearmacht bezeichnet, will nach eigenen Angaben über mehrere einsatzbereite Atombomben und entsprechende Trägersysteme verfügen. Wissenschaftler arbeiten derzeit an der Entwicklung einer Interkontinentalrakete des Typs »Taepodong-2«, Aber wäre das Militär wirklich zu den angedrohten »atomaren Präzisionsschlägen« gegen die USA in der Lage? Der Hamburger Professor August Pradetto von der Universität der Bundeswehr, der die angekündigten Strafmaßnahmen der UN eher symbolisch nennt, sieht zur Zeit keine ernst zunehmende Gefahr. Nordkorea fehlten dafür adäquate Kapazitäten. »Es gibt ein paar nukleare Sprengköpfe, es gibt einige Raketen – aber das bedeutet noch lange keine interkontinentale Schlagfähigkeit.« Und auch in Pjöngjang wisse man, dass selbst ein begrenzter Angriff auf US-Streitkräfte in Südkorea die vollständige Vernichtung des eigenen Militärs und auch der politischen Führung bedeuten würde. »Die USA und Südkorea sind militärisch haushoch überlegen.« Gleichwohl sieht der Politikwissenschaftler nicht zuletzt durch die Manöver und Zwischenfälle vor allem im Ostchinesischen Meer die Gefahr einer Eskalation.
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