Immer Ärger mit dem EU-Recht
Worüber Kleinunternehmen am meisten stöhnen
Die Chemikalienrichtlinie REACH, Mehrwertsteuerregeln und die Vorschriften über allgemeine Produktsicherheit: Das sind laut einer Umfrage die Regelungen, unter denen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Europa am meisten stöhnen und für die sie die EU verantwortlich machen. Die EU-Kommission stellte die Top-10-Ergebnisse der Befragung jetzt vor.
Im Herbst 2011 wollte Brüssel von den KMU wissen: Was kann die EU besser machen? Wo kann den KMU durch Änderung der EU-Gesetze der Alltag erleichtert werden? Rund 1000 Unternehmen oder Verbände nahmen an der Umfrage teil - von europaweit 20,8 Millionen KMU. Kommissionspräsident José Manuel Barroso verspricht, die Liste als Auftrag für die Arbeit seiner Beamten zu werten: »Die Kommission möchte sicherstellen, dass die EU-Vorschriften zweckdienlich sind und die europäischen Unternehmen dabei unterstützen, zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen.« Und direkt an die Unternehmen selbst gewandt sagt der Portugiese: »Wir werden alles dafür tun, Ihre Erwartungen nicht zu enttäuschen.«
Doch Enttäuschung ist eigentlich programmiert. Denn schnell wird die EU nicht reagieren können. Bestehende Gesetze zu ändern und Ausnahmen für eine bestimmte Gruppe - eben KMU - zu machen, ist höchst komplex. »Sie arbeiten da am fahrenden Zug«, erklärt Jonathan Stoodley, Leiter der Abteilung »Schlanke Gesetzgebung« bei der EU-Kommission. Bei jeder Änderung müsse geprüft werden, wer wie eventuell bevorzugt oder benachteiligt werde, was das für wettbewerbsrechtliche Konsequenzen haben könnte, ob durch Ausnahmen der Sinn des gesamten Gesetzes noch erfüllt werde. »Und wir müssen ja auch die Meinung der anderen betroffenen Interessenvertreter berücksichtigen«, so Stoodley.
Darüber hinaus kann die EU-Kommission Gesetze in der Regel nicht eigenmächtig verändern. Stoodley vergleicht den nötigen Prozess mit dem Spiel »Stille Post«, bei dem am Ende meist etwas ganz anderes herauskommt als anfangs eingegeben. Die Kommission mache einen Vorschlag, doch Europaparlament und Ministerrat würden daran so viel ändern, dass man nicht sicher sein könnte, ob am Ende auch wirklich Erleichterungen für die KMU herauskämen.
An diesen Hindernissen mag es liegen, dass das ganze EU-Projekt, KMU von unnötiger Bürokratie zu entlasten, noch nicht richtig in Fahrt gekommen ist. Seit 2008 gibt es mit dem »Small Business Act« zwar ein spezielles Programm dafür. Doch bis in den Alltag der Kleinunternehmen hinein - das zeigt auch die jetzt veröffentlichte Top-10-Liste wieder - scheint es bislang kaum gewirkt zu haben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.