Agenda-Allerlei
Die Distanzierung von den alten Reformen will nicht recht gelingen, da bringt Schröder neue ins Spiel
Einige im Willy-Brandt-Haus aufgehängte Poster bieten einen Vorgeschmack auf die SPD-Plakate im anstehenden Bundestagswahlkampf: »Miteinander für mehr Solidarität«, »Miteinander für mehr Gerechtigkeit«, »Miteinander für Deutschland«. Die Sozialdemokraten wollen wieder als linke Volkspartei wahrgenommen werden, die auf die Menschen zugeht. Das soll auch der Entwurf des Parteivorstands für das Regierungsprogramm widerspiegeln, den Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Parteichef Sigmar Gabriel vor Journalisten am Montag in der Berliner Parteizentrale vorstellen. Steinbrück, der dem konservativen Flügel in der Partei zuzurechnen ist, verspricht, die leichten Korrekturen, welche die Partei an ihrer früheren Politik vornehmen will, mitzutragen. »Warum sollte sich die SPD nicht links von der Mitte bewegen, wenn die Mehrheit der Bürger will, dass der Mindestlohn kommt, die Finanzmärkte reguliert werden und mehr Geld für Bildung und Betreuung ausgegeben wird«, sagt er.
Zielgruppen der Sozialdemokraten sind Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmen. »Eine erfolgreiche Wirtschaft ist nur möglich mit Stabilität und Gerechtigkeit«, meint Steinbrück. Wie viel Geld für die von der Partei versprochenen Investitionen in Bildung und Infrastruktur zur Verfügung stehen wird, ist allerdings fraglich. Konkrete Angaben zur Vermögensteuer sucht man in dem Programmentwurf vergeblich. Zu dieser Steuer heißt es lediglich, dass sie die »Normalverdiener mit Einfamilienhaus und den Mittelstand nicht belasten wird«. Dasselbe gelte für die Erbschaften.
Der Vorstand der SPD hat den Entwurf für ein Regierungsprogramm beschlossen. Das Papier wird endgültig beim Parteitag am 14. April in Augsburg verabschiedet.
Arbeitsmarkt: Ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro soll eingeführt werden. Zudem sollen Mini-Jobs, Befristungen und Leiharbeit begrenzt beziehungsweise reformiert werden.
Energie: Die Sozialdemokraten wollen die Aufgaben der Energiewende in einem Energieministerium bündeln.
Bildung: Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Universität sollen gebührenfrei werden. Das Betreuungsgeld will die SPD abschaffen.
Geschlechterpolitik: Durch ein Entgeltgleichheitsgesetz sollen Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie Männer bekommen. Eine 40-Prozent-Quote würde für Aufsichtsräte und Vorstände großer Unternehmen Hürden für Frauen abbauen.
Steuern: Der Spitzensteuersatz auf Einkommen ab 100 000 Euro soll auf 49 Prozent angehoben werden. Zudem ist geplant, Kapitalerträge mit 32 statt 25 Prozent zu besteuern. Mit einer Spekulantensteuer sollen die Finanzmärkte an Krisenkosten beteiligt werden. Mehreinnahmen sollen für den Schuldenabbau sowie für Investitionen in Bildung und Infrastruktur verwendet werden.
Soziale Sicherung/Vorsorge: Im Gesundheitssystem und in der Pflege will die SPD die Bürgerversicherung einführen. Eine Solidarrente nach 30 Beitrags- und 40 Versicherungsjahren dürfe nicht unter 850 Euro liegen. Die Anhebung des Renteneintrittsalters wird ausgesetzt, solange nicht mindestens die Hälfte der Über-60-Jährigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat. Bis 2020 ist ein einheitliches Rentensystem für Ost und West geplant.
nd
Vor der Pressekonferenz war der SPD-Pressestelle ein Fehler unterlaufen. Sie hatte den Auftritt von Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier angekündigt. Auch wenn die beiden nicht physisch anwesend waren, hat ihre einstige Agenda-Politik noch immer einen großen Einfluss auf die derzeitige SPD. »Ich werde die Politik von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder weiterführen«, kündigt Steinbrück an.
Dass Gerhard Schröder nun sogar wieder für eine Agenda wirbt, mag einige in der SPD erschrecken. In Interviews schwingt er den Gedanken einer Agenda 2020 wie eine Keule. Seine Partei hat die alte noch nicht verkraftet. Das Wahlprogramm soll deshalb Zweifel der Wähler an der Aufrichtigkeit der SPD zerstreuen. Hilde Mattheis, freut sich über das Ergebnis, über ein »sozialdemokratisches Programm einer linken Volkspartei«. Die Vorsitzende der Parteilinken im Forum Demokratische Linke 21 rechnet dem eigenen Flügel einige Änderungen in letzter Minute an.
Die Parteioberen betonen lieber die Kontinuität der SPD-Politik seit der Agenda 2010. Der zehnte Jahrestag zwingt die Partei nun zum Bekenntnis: Wie hält sie es mit den Hartz-IV-Reformen? Und der Altkanzler ist da nicht wegzudenken. So muss nun ausgerechnet er die Reformfähigkeit der Sozialdemokraten beschwören. Wie er es schon an jenem 14. März vor zehn Jahren tat, als er mit seiner Rede im Bundestag die Agenda ankündigte. Wie hält sie es mit der Agenda 2010, die SPD? Schröder selbst: »Das Verhältnis meiner eigenen Partei zur Agenda ist immer noch ein bisschen schwierig.« Ein wenig bekümmert klingt er da im »Bild«-Interview. Und er erklärt es sich so: »Die SPD ist mit dem, was ist, nie zufrieden - auch wenn sie es selbst geschaffen hat.«
Dass das Erreichte nicht das Erreichbare sei, das kennt man zumindest im Osten sehr gut. Auch den schweigenden Konsens, dass Erreichtes wie Erreichbares auf einem Weg liegen, der außer Frage steht. Die Leute in der DDR haben den Trick trotzdem durchschaut. Und heute tun sie es auch.
Die SPD hat die Quittung in Wahlen seither dutzendfach erhalten. Stolz auf das Erreichte mag sie deshalb nicht recht sein. Höchstens ein wenig. Frank-Walter Steinmeier schwankt wie die gesamte Partei, wenn es um diesen Stolz geht. Im ARD-Interview von »Bericht aus Berlin« wehrte der Fraktionschef ab: »Nein, das habe ich so nie gesagt.« Zuvor im »Spiegel« aber: »Wir können sehr stolz auf die Agenda 2010 sein.« Ihr verdanke Deutschland, »dass wir bei weitem nicht mehr der kranke Mann Europas sind, der wir vor zehn Jahren waren«. Selbst Ralf Stegner, der zur Parteilinken zählt: Die rot-grünen Sozialreformen seien »in weiten Teilen richtig« gewesen.
Der kranke Mann Europas - nach Amtsbeginn von Gerhard Schröder hatte diese Behauptung den Stellenwert einer Diagnose für Deutschland erhalten, hatte nach den Wirtschaftsspalten der Zeitungen die Talkshow von Sabine Christiansen erobert. Die Lage galt als dramatisch. Schwächelndes Wachstum und steigende staatliche Sozialausgaben schienen der Mix, aus dem der absehbare Untergang des Landes sich zusammenbraute. Das Problem: Die Diagnose war falsch. Doch Ökonomen, die ihr widersprachen, wurden nicht gehört. Und es wurde die Therapie gewählt, die die Wettbewerbsfähigkeit über sinkende Lohnkosten und Einsparungen noch zu verbessern suchte - und am Ende tatsächlich auch verbesserte. Allerdings auf Kosten der rasant zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Die Menschen wanderten in den Niedriglohnsektor, weil sie von den Arbeitsmarktreformen dazu gezwungen wurden.
Die deutsche Vorstellung von einem Wachstum durch Sparen könnte am Ende ganz Europa destabilisieren, fürchtete der Wirtschaftsweise Peter Bofinger damals. Inzwischen ist es soweit. Zeit für eine Agenda 2020, könnte man also meinen. Für eine Umkehr. Doch viel ist darüber bisher nicht zu erfahren. Wenn Steinmeier von notwendigen Mitteln für Bildung spricht, widerspricht niemand. Die LINKE jedenfalls argwöhnt bereits »weitere Lohn- und Rentenkürzungen«.
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