Willst du in meinen Kurs?

Erfahrungen aus der Sicht eines Dozenten

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Anstatt den Vorträgen von Dozenten zu Lauschen und Wissen vermittelt zu bekommen, wechselte Robert Meyer für einen Vormittag aus der Rolle des Lernenden auf die Seite der Lehrenden – ein Erfahrungsbericht.

Mit dem akademischen Viertel ist es so eine Sache. Da sitze ich nun pünktlich um 10.30 Uhr in einem etwas zu groß geratenen Hörsaal der HTW und warte geduldig auf meine Hörerschaft. Der Laptop steht, der Beamer wirft ein scharfes Bild an die Wand, die Notizen warten sauber ausgedruckt vor mir auf dem Tisch aufgereiht auf ihren Einsatz. Fünf Minuten nach zehn werde ich langsam ungeduldig. Immerhin zwölf Leute haben sich für das Seminar angemeldet. Zwölf Menschen, denen ich gleich etwas darüber erzählen werde, wie man seine ersten Schritte in den Journalismus wagt und weshalb man dies bereits im Idealfall während des Studiums tun sollte. Dabei stehe ich genauer betrachtet selbst noch am Anfang meines Weges. Doch meine bisher gemachten Erfahrungen bei Lokalzeitungen, überregionalen Medien und dem „nd“ könnten wiederum für andere Leute hilfreich sein, ihren Einstieg in den Journalismus zu finden. In dicken Großbuchstaben steht gleich auf der ersten Seite meiner Notizen: „DEN EINEN GOLDENEN WEG GIBT ES NICHT!“ Mit dieser Botschaft würde ich meine Zuhörer gerne empfangen, wenn mir denn schon jemand zuhören würde. Langsam komme ich mir in den Hörsaal ein bisschen verloren vor, bis plötzlich der erste Teilnehmer zur Tür hereinkommt. „Willst du in meinen Kurs?“, frage ich etwas ungläubig in Richtung des jungen Mannes. Er nickt, kommt auf mich zu und setzt sich mit gebührendem Abstand in die zweite Reihe, als wäre ich der alte Professor für Journalistik und könnte mit meiner Lebensweisheit allen eine tiefe Erfurcht vor meiner Person abringen. Dabei bin ich mit meinen 24 Jahren nicht viel älter als die meisten Teilnehmer.

Wie ein Blitz trifft mich ein Gedanke: Vielleicht sollte man einfach das akademische Viertel abwarten. Schließlich sind wir hier an einer Hochschule und als würde meine eigene Studienzeit wahnsinnig weit zurückliegen, fällt mir jetzt erst ein, dass ich es als Studierender selbst nie so genau mit dem Beginn einer Veranstaltung genommen habe. Schließlich liege ich mit meiner Vermutung richtig. Die Teilnehmer betreten nun im Minutentakt den Raum, wobei noch immer niemand in der ersten Reihe Platz nehmen will.

„Jetzt bloß kein Fauxpas zum Anfang leisten“, denke ich und blicke noch einmal auf meine Notizen, als müsste ich etwas nachschauen. Dabei ist diese Reaktion nicht weiter als ein Alibi, um meine Nerven zu beruhigen. Ich weiß längst, wie ich meinen Vortrag eröffne. Während ich diese Klippe souverän umschiffe, stolpere ich über eine meiner eigenen Thesen. Der Beamer wirft die Aussage „Regionalzeitungen als ‚Sprungbrett’ begreifen“ an die Wand. Prompt hebt eine Teilnehmerin wie aufs Stichwort den Arm. Völlig zu Recht erklärt sie etwas angesäuert, man dürfe den Lokaljournalismus nicht immer als etwas Unwichtiges darstellen. „Das wollte ich damit nicht sagen“, verteidige ich mich und blicke noch einmal skeptisch auf meine These. Eigentlich wollte ich eher ein Plädoyer dafür halten, das jeder Journalist mit bundespolitischen Ambitionen einen gezielten Abstecher ins Lokale machen sollte, um nicht den Kontakt zu den Geschichten vor der eigenen Haustür zu verlieren. „Jedes Thema von bundesweiter Bedeutung lässt sich auch im Lokaljournalismus erzählen“, erkläre ich. Die noch eben verschnupfte Teilnehmerin dankt meine klare Aussage mit einem zustimmenden Kopfnicken.

Was die Teilnehmer des Seminars mitnehmen sollen, lässt sich auf einige wenige Gedanken zusammenfassen: Beharrlichkeit und Interesse an seiner Umwelt sind die wichtigsten Eigenschaften, die man für den Einstieg in den Journalismus mitbringen sollte. Eine Teilnehmerin bat mich noch kurz vor Anfang meines Seminars, doch bitte etwas Positives über den Beruf zu erzählen, denn in einem anderen Vortrag hätte sie gehört, wie schlimm es doch um die gesamte Branche stünde und Neueinsteiger eher verrückt sein müssten, wenn sie glauben, ihre Brötchen mit Journalismus verdienen zu können. Von der Hand zu weisen ist diese Behauptung nicht, kennt man doch Zahlen Tausender Freischreiber allein in Berlin, die von mickrigen Zeilenhonoraren nicht leben können. Zu viel Kulturpessimismus will ich dann doch nicht verbreiten.

Im Praxisteil des Seminars sollen mir (In der Rolle des Redakteurs) die Teilnehmer einen Artikelvorschlag zum Thema NPD-Verbotsverfahren unterbreiten. Einzige Bedingung: Die Herangehensweise an das Thema sollte originell sein. Die Vorschläge überraschen, einige Ideen eignen sich zweifelsohne für eine gute Seite-Drei-Reportage. So würde eine Teilnehmerin aus Sachsen gerne einen Kneipenstammtisch in einer Kleinstadt nach Vorurteilen gegenüber Minderheiten abklopfen - eine womöglich erschreckende Analyse des kleinbürgerlichen Spießbürgertums. Ein anderer würde Abgeordnete verschiedener Parteien aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen zum Streitgespräch über einen Verbotsantrag der Rechtsextremen einladen. Immerhin besitzen die Parlamentarier dieser beiden Bundesländer Alltagserfahrung im Umgang den braunen Sumpf.

Um die Kreativität des journalistischen Nachwuchses muss man sich keine Sorgen machen.

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