Nordkorea sperrt Industriezone Käsong
Seoul schließt militärische Aktion bei »ernster Lage« nicht aus
Tag für Tag, außer sonntags, passierten Hunderte Südkoreaner auf dem Weg nach Käsong die streng bewachte Grenze zwischen beiden koreanischen Staaten. In dem 2003 gegründeten Industriekomplex rund zehn Kilometer nördlich der »Demilitarisierten Zone« (DMZ) arbeiteten sie gemeinsam mit über 50 000 Nordkoreanern für 123 südkoreanische Unternehmen. Trotz der Drohung mit »entschiedenen Maßnahmen« am Wochenende waren die Südkoreaner auch am Montag problemlos an ihre Arbeitsplätze gelangt.
Doch am Mittwochmorgen ließ Nordkorea keinen der 481 südkoreanischen Pendler, die über gültige Papiere verfügten, über den Grenzübergang Paju einreisen. Lange Kolonnen von Lastwagen stauten sich vor den Kontrollposten. 861 in Käsong verbliebenen Südkoreanern wurde die Heimkehr erlaubt, doch bis zum späten Nachmittag machten lediglich 46 Mitarbeiter von diesem Angebot Gebrauch. Mehr als 800 zogen es vor, zunächst in Käsong zu bleiben, um einen reibungslosen Ablauf der Geschäfte ihrer dortigen Firmen zu ermöglichen.
Südkorea nannte die Sperrung »bedauerlich« und arbeitete einen Notfallplan aus. Selbst eine militärische Aktion zur Befreiung südkoreanischer Staatsbürger wollte Verteidigungsminister Kim Kwan Jin nicht ausschließen, sollte sich eine »ernste Lage« ergeben.
Der Betrieb lief jedoch vorerst trotz des Konflikts weiter. Unklar ist, wie lange Lebensmittel- und Produktionsvorräte ausreichen. Der Industriepark galt bisher nicht nur als »Festung des Friedens«, sondern auch als Gradmesser für politische Risiken, denen Unternehmen auf der Halbinsel ausgesetzt sind. Als Anreiz, Investitionen zu wagen, garantierte die südkoreanische Regierung den meisten Firmen im Industriekomplex Versicherungsschutz. Käsong sollte beweisen, dass innerkoreanische Annäherung und Kooperation möglich sind.
Es ist dennoch nicht das erste Mal, dass Käsong als Instrument politischen Drucks benutzt wird. 2009 hatte Nordkorea den Industriepark aus Zorn über Militärmanöver Südkoreas und der USA blockiert. Die Blockade wurde drei Tage später, nach Beendigung der Manöver, aufgehoben. Dagegen verloren südkoreanische Investoren bei einem anderen Projekt ihren gesamten Besitz: Im malerischen Kumgang-Gebirge, unmittelbar nördlich der Grenze, hatte der Hyundai-Konzern Anlagen für südkoreanische Tagestouristen errichtet. Die wurden im Jahre 2010 von Pjöngjang entschädigungslos verstaatlicht.
Was im Norden als »Verletzung der Würde« des Landes betrachtet wurde, war offenbar die von Medien im Süden verbreitete Vermutung, die Führung in Pjöngjang werde den Betrieb in Käsong nicht stören, weil der Industriekomplex eine wichtige Devisenquelle der KDVR ist. Für den Norden sei der Fortgang der Produktion also wichtiger als für den Süden. In der am 30. März veröffentlichten Warnung hieß es, Pjöngjang habe trotz der Kriegsgefahr, die auf der Koreanischen Halbinsel herrsche, in Bezug auf Käsong bisher Zurückhaltung geübt, weil eine Schließung der Zone die Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen Südkoreas bedrohen und viele Leute arbeitslos machen würde.
Tatsächlich schmerzt die Blockade auch den Süden, denn allein im vergangenen Jahr wurden in Käsong Textilien, Haushaltsgeräte, Halbleiter und Maschinenbauteile im Wert von rund 470 Millionen Dollar produziert. Die Mehrzahl der Beschäftigten sind indes Nordkoreaner, die jährlich 90 Millionen Dollar Löhne in Devisen nach Hause tragen. Regierungskreise in Seoul gaben sich trotz der Verärgerung über die weitere Zuspitzung im Streit mit Nordkorea zunächst gelassen. Man rechne nicht mit einer Verschärfung der Lage in Käsong, hieß es aus dem Ministerium für Wiedervereinigung, dessen Sprecher Pjöngjang aufforderte, das »Reisen in den Industriepark sofort zu normalisieren«.
Zum Vergleich: Nach der dreitägigen Blockade 2009 waren Käsongs Vorratslager praktisch leer. Die gegenwärtigen gemeinsamen Militärmanöver Südkoreas und der USA dauern noch bis Ende April. Dass der Aufmarsch der übermächtigen US-Kriegsmaschine ausgerechnet eine bitterarme Nation zu wirtschaftlichen Druckmethoden greifen lässt, gehört zu den Paradoxien des Konflikts in Korea.
nd-Karte: W. Wegener
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