Happy Birthday, olle Richie!

Vor 200 Jahren wurde Richard Wagner in Leipzig geboren - ein fiktiver Bummel mit ihm durch seine Jugend in Sachsen

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 8 Min.

Da wird man 200, eigentlich doch ein Alter, bei dem man milde auf seine Erdenzeit zurückblicken könnte, und dann wird man in allen Gazetten regelrecht seziert und jedes je gesagte Wort auf die Goldwaage gelegt. Dabei waren Sie doch, verehrter Richard Wagner, nicht gerade einer von jenen, der seine Worte stets erst sorgfältig nach allen Seiten hin prüfte, bevor sie ihm aus dem Mund purzelten. Und schon gar nicht der Mann, dessen Wort unbedingt zählte. Insbesondere, wenn es ums Versprechen ging, geborgtes Geld zurückzuzahlen. Ihr Jugendfreund Theodor Apel, dessen Gastfreundschaft Sie in Ermlitz unweit Ihrer Heimatstadt Leipzig gern und ausgiebig genossen, konnte ein Lied davon singen.

Aber lassen wir das leidige Thema erst einmal beiseite und begeben uns lieber auf eine kleine Tour durch ihre Kinder-, Jugend- und frühen Erwachsenenjahre in Sachsen, die Ihr Leben nachdrücklich prägten. Beginnen wir in Leipzig, wo Sie am 22. Mai 1813 als neuntes und letztes Kind Ihrer Eltern Johanna Rosine und Friedrich Wilhelm zur Welt kamen. Am Brühl, da wo heute die verlängerte »Blechbüchse«, ein Konsumtempel steht. Ihr Vater, ein Polizei-Protokollführer, schaffte es gerade noch, Sie in der Thomaskirche taufen zu lassen, drei Monate später starb er. Wissen Sie, manchmal frage ich mich, was aus seinem Sohn geworden wäre, wenn das Leben Friedrich mehr Zeit gegönnt hätte. Ein Polizist, ein Beamter vielleicht? Die erneute Heirat Ihrer Mutter mit dem Schauspieler Ludwig Geyer indes hat dem Weg wohl die Richtung gewiesen, die aus dem kleinen eigensinnigen Richard den großen genialen, widersprüchlichen und umstrittenen Wagner machte.

*

In Dresden verlebten Sie den größten Teil Ihrer Kindheit, hierher war die Familie Ende 1814 gezogen, weil Ihr Stiefvater eine Anstellung am Hoftheater bekam. Hier hatten Sie auch als Fünfjähriger Ihren ersten Bühnenauftritt - als Engel in Carl Maria von Webers Festspiel »Der Engel an der Elbe«. Sie waren stolz wie Oscar, würde man heute sagen. Allerdings stellte sich schon bald heraus, dass Sie im wahren Leben mit der Engelrolle absolut fehlbesetzt waren.

Anfangs scheinen Sie ja noch ein »braves« Kind gewesen zu sein, lernten Lesen, Schreiben und sogar Klavierspielen. Doch schon als Neunjähriger, mit Aufnahme in die Dresdner Kreuzschule, zeigten Sie nur in jenen Fächern Ehrgeiz, die Sie wirklich interessierten: Mythologie, Alte Geschichte und Altsprachen. Den Chorgesang indes schwänzten Sie häufig, um in die Oper zu gehen, wo vor allem der »so innig geliebte Meister« Carl Maria von Weber Sie schwer beeindruckte.

*

1827 zog Ihre Mutter, die inzwischen zum zweiten Mal verwitwet war, nach Leipzig zurück und meldete Sie an der berühmten Nikolaischule an. Haben Sie Lust, einen Blick hineinzuwerfen? Ab Ihrem 200. Geburtstag wird hier eine Dauerausstellung über Leipzigs berühmtesten Sohn zu sehen sein. Nun ja, was man da über Richards »Flegeljahre« erfahren kann, gibt nicht gerade Auskunft über einen Musterschüler. Empört darüber, dass Sie hier in die Obertertia mussten, wo Sie doch in Dresden bereits die Secunda besucht hatten, machten Sie einen auf Opposition, verweigerten den Unterricht, gammelten vor sich hin, verließen unerlaubt die Schule, um heimlich Unterricht in Harmonielehre zu nehmen und ein Trauerspiel zu schreiben. Auch ein Schulwechsel auf die Thomasschule brachte nicht den erwünschten Erfolg. Im Sommer 1830 gaben Sie das »Experiment« Schule auf und verließen sie ohne Abschluss. Für Ihre Mutter war das sicher ein Desaster. Sie aber fühlten sich endlich frei fürs studentische Leben und um sich ganz der Musik hinzugeben. Vom Thomaskantor Weinig ließen Sie sich privat in Komposition unterrichten. Er erkannte schnell Ihr wahres Talent und bescheinigte Ihrer besorgten Mutter schon bald, ihrem Sohn nichts mehr beibringen zu können. Wie befreit verfielen Sie in einen Schaffensrausch, schrieben Ouvertüren, Sinfonien, Klaviersonaten. Wie muss Ihre Mutter aufgeatmet haben, nach all dem Kummer, den Sie ihr während der Schulzeit gemacht haben!

*

Bis 1834 blieben Sie noch in Leipzig, dann hielt Sie nichts mehr - Ihr Weg führte Sie zunächst als Chordirektor nach Würzburg, nach Magdeburg, wo Sie Ihre erste Frau, die Schauspielerin Minna Planert kennenlernten, weiter nach Königsberg und Riga bis nach Paris, wo Sie sich und Minna, hochverschuldet, mit Gelegenheitsarbeiten mühsam über Wasser hielten. Der erhoffte Erfolg Ihrer Opern blieb aus. Erst die Rückkehr nach Dresden und die Uraufführung von »Rienzi« am 20. Oktober 1842 am dortigen Hoftheater änderte das. Hier, wo Sie Ihre ersten kindlichen Bühnenerfahrungen sammelten, schafften sie den Durchbruch als Opernkomponist und wurden frenetisch gefeiert.

Endlich wollten Sie auch standesgemäß leben, nicht mehr als der arme Bettelknabe. Eine große Wohnung musste ebenso her wie ein luxuriöser Lebensstil. Ich weiß, Sie möchten das nicht gern hören, aber in den nächsten sieben Jahren zogen Sie und Minna so oft um, wie die meisten Leute nicht im ganzen Leben - viel Geld, große Wohnung, wenig Geld, eine kleine. Das Geld reichte nie, nicht mal, als Sie fürstliche 1500 Taler im Jahr verdienten, nachdem Sie im Februar 1843 die begehrte Anstellung als Hofkapellmeister in Dresden erhielten. Gönner und Freunde halfen aus, nur mit dem Zurückzahlen hatten Sie es nicht so. Aber darüber sprachen wir ja bereits.

Da wir gerade vor der Frauenkirche stehen - hier haben Sie 1843 ja mal richtig »die Sau fliegen lassen«, bis heute erzählt man davon. Sie sollten ein Stück für das Musikfest der sächsischen Männergesangsvereine schreiben, das in der Frauenkirche stattfand. Typisch Wagner komponierten Sie einen Kracher im wahrsten Sinne des Wortes: 100 Orchestermusiker spielten am 6. Juli im Kirchenschiff, und aus den Kehlen von 1200 Sängern, die auf drei Emporen standen, erklang »Das Liebesmahl der Apostel«. »Es hat geklungen wie aus dem Jenseits«, war Ihr begeisterter Kommentar nach der Uraufführung. Einer Ihrer späteren kritischen Fans, der heutige Vorsitzende des Wagner-Verbandes Leipzig, Thomas Krakow, der vor einigen Jahren das »Liebesmahl« mit nur 225 Sängern in der Frauenkirche hörte, erzählte, dass er selbst bei dieser »kleinen« Besetzung dachte, die Frauenkirche fliege auseinander. Vielleicht hören Sie ja mal rein, wenn in Ihrem Jubiläumsjahr das Spektakel erneut den Zuhörern eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Das wird Ihnen bestimmt gefallen!

1846 waren Sie ziemlich fertig »auf der Röhre«, hatten einen Burnout, wie man heute sagt. Monatelang hatten Sie am Opernhaus die 9. Sinfonie gegen erheblichen Widerstand einstudiert. Kritiker, Neider, Nörgler - alle fielen über Sie her, für einen wie Sie war das nur schwer zu verkraften. Hinzu kamen die immerwährenden Geldsorgen. Sie wollten einfach nur weg von alldem, wenigstens eine Zeitlang. In Graupa, unweit von Pirna, fanden Sie, Minna und Hund Peps im Schäferschen Gut eine Oase der Ruhe. »Gott sei Lob, ich bin auf dem Lande, drei Stunden von Dresden in der reizendsten Gegend von der sächsischen Schweiz und fange wieder an, als Mensch und Künstler aufzuatmen«, schrieben Sie wie befreit an einen Freund. Und, dass Sie sich erhoffen, »das Musikmachen gänzlich zu vergessen«.

Daraus wurde ja glücklicherweise nichts. Als Minna und Sie nach elf Wochen gut erholt und voll Tatendrang nach Dresden zurückkehrten, lagen im Gepäck die fertigen Kompositionsskizzen für die Oper »Lohengrin«. Sehen Sie nur, wie die Leute heute nach Graupa pilgern, alle nur Ihretwegen! Das müsste doch runtergehen wie Öl! Im Schäferschen Gut dreht sich heute museal alles um den »Lohengrin«, und gleich nebenan im früheren Jagdschloss öffnete im Januar ein Richard-Wagner-Museum. So spannend gemacht, dass selbst Kinder zum Fan werden können. Mein lieber Schwan, da hat man sich wirklich was Tolles einfallen lassen!

*

1848 begannen Sie, wenn ich das so sagen darf, ein neues Kapitel in Ihrem rebellischen Leben und wurden zum Revolutionär. Das begann damit, dass Sie die Dresdner Musikstrukturen ändern wollten und endete ein Jahr später mit der aktiven Teilnahme am MaiAufstand. Mehrfach riefen Sie in Zeitungsartikeln zu Aktionen auf, und als die Straßenkämpfe ihren Höhepunkt erreichten, standen Sie als Beobachter der Truppenbewegungen auf dem Turm der Kreuzkirche und warfen Flugblätter herunter. Sie mussten mit ansehen, wie das Opernhaus, in dem Sie einen Monat zuvor am Palmsonntag noch Beethovens 9. dirigiert hatten, in Flammen aufging. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, 200 Menschen starben, 400 Aufständischen wurde der Prozess gemacht. Sie sowie Ihr Freund Gottfried Semper konnten sich nur durch Flucht der Festnahme entziehen. Überall hing Ihr Steckbrief, alle Zeitungen veröffentlichen ihn. »Wagner ist 37 - 38 Jahre alt, mittlere Statur, hat braunes Haar und trägt eine Brille« hieß es da. Und dass jeder ersucht sei, ihn »zu verhaften und davon uns schleunigst Nachricht zu ertheilen«.

Sie hatten wirklich Glück, schafften es gemeinsam mit Minna bis zu Ihrer Schwester Clara nach Chemnitz und im letzten Moment von dort in die sichere Schweiz. Chemnitz wurde nicht nur Ihr Schicksalsort, denn man fragt sich als Nachgeborener schon mal in einer stillen Stunde, was aus der Musikgeschichte geworden wäre, hätte man Sie geschnappt? Denn vieles, woran Sie heute festgemacht und wofür Sie verantwortlich gemacht werden, spielte sich doch erst in den 34 Jahren ab, die Ihnen bis zum Tod noch blieben.

Das jedoch sind andere Geschichten. Jetzt feiern wir erst einmal Ihren Geburtstag. Happy Birthday, olle Richie! Lass es ordentlich krachen!

  • Infos: Leipzig: www.richard-wagner-leipzig.de; www.wagner-verband-leipzig.de; Dresden: www.marketing.dresden.de; www. semperoper.de; www.sachsen-tourismus.de;
  • Graupa: www.richard-wagner-museum.de; zum Aufenthalt in Graupa und zum Museum siehe auch »nd« vom 6./7.10.2012, Chemnitz: www.cwe-chemnitz.de, www.theater-chemnitz.de
  • Tipp: Zum 200. Geburtstag Richard Wagners gibt es vom 6. bis 27. April ein zehnteiliges Themen-Special bei 3sat - Dokumentationen, Filme, Musikgespräche.
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.