Kompass fürs Werk
Die Frankfurter Goethe-Ausgabe ist komplett. Gerade ist das Register erschienen
Fertig ist sie schon lange. 1999 krönten Eckermanns Gespräche die umfassendste Goethe-Ausgabe unserer Tage. Seitdem stehen sie im Regal: 39 Bände in 43 Teilbänden, nobel gedruckt auf bestem, hochwertigem Dünndruckpapier, gekleidet in blaues Leinen und, für reichere Leser, in rotes Leder (aus Fellen der ostindischen Radja-Ziege), realisiert von rund dreißig Wissenschaftlern, Goethe-Spezialisten allesamt. Nur vierzehn Jahre dauerte es, bis alles vorlag, eine unglaublich kurze Zeit für ein Vorhaben dieses Anspruchs und Umfangs. Denn es ist ja nicht irgendeine Ausgabe. In diesen Bänden hat man den Autor so vollständig und so eingehend erläutert wie in keiner anderen Edition der letzten Zeit: zuerst das dichterische Werk, dann die autobiografischen, die ästhetischen, naturwissenschaftlichen, amtlichen und politischen Schriften (mit einem beinahe überbordenden Kommentar auf einer nachgelieferten CD-ROM), schließlich, in einer zweiten Abteilung, eine chronologisch geordnete Auswahl von Briefen, Tagebüchern und Gesprächen, eine bestechend komponierte Biografie, wie es sie in der Geschichte der Goethe-Ausgaben noch nicht gab. Das alles mit akribisch überprüften Texten, sämtlichen Fassungen und einem exzellenten Apparat.
Die Editionsarbeit war getan, und dennoch wartete das Werk auf den krönenden Abschluss. Es fehlte, geplant, versprochen und immer wieder aufgeschoben, das Register, fürwahr keine Nebensächlichkeit angesichts von fünfzigtausend Text- und Kommentarseiten. Es hat tatsächlich noch einmal vierzehn Jahre seit dem letzten Band gedauert, bis auch das geschafft war, und nun endlich steht Band 40 zur Verfügung, das i-Tüpfelchen der Edition, der Schlüssel zum Ganzen, der es erlaubt, sich leicht und bequem in dem Riesengelände namens Goethe zu bewegen. Der Wegweiser macht jede Suche nach einem Text, einem Namen, einem Ort zum Kinderspiel.
Herausgeber Christoph Michel spricht von einem Unternehmen, das gewagter und zeitaufwendiger war als die Arbeiten für die Register aller Vorgängereditionen. Er hat nicht übertrieben. Die Ausgaben, die im zwanzigsten Jahrhundert entstanden, die monumentale Weimarer oder Sophien-Ausgabe ausgenommen, kamen mit einem einzigen Band aus, sogar der Hanser-Goethe, der ebenfalls 1999 fertig wurde und in 33 Teilbänden vorliegt. Sein Register ist mit 474 Seiten das schmalste Buch in der Reihe. Dieses hier, das nun die Frankfurter Ausgabe beschließt, bringt es aufs Fünffache. Zwei Bände mit insgesamt 2 500 Seiten waren nötig, um die Masse der reich gegliederten Angaben unterzubringen.
Da mussten ja nicht bloß rund zweitausend Goethe-Texte gemustert werden, sondern auch Hunderte Seiten Kommentar. Schon das Namensregister, das den ersten Band mit seinen 1 500 Seiten beansprucht, macht den ganzen Goethe-Kosmos sichtbar, die ungeheure Weite des Horizonts, der Bildung, Interessen, der Beziehungen zur Mitwelt. Zehntausende Namen sind hier erfasst, und mancher beansprucht mit den dazugehörigen Verweisen viele Seiten. Dazu kommen, im zweiten Band, 360 Seiten Orts- und fast hundert Seiten Werkregister, das Verzeichnis der Gedichtüberschriften und Gedichtanfänge sowie eine penible, detaillierte Inhaltsübersicht über alle Bände der Ausgabe. Noch der winzige Spruch ist da ausgewiesen und jeder abgedruckte Brief. Die Bearbeiter des Registers haben damit noch einmal die Überlegenheit dieser Edition unterstrichen.
Diese Goethe-Ausgabe ist das Werk vieler. Ihre Namen stehen auf den Titelblättern. Einen muss man nachtragen: Siegfried Unseld. Er war an der Editionsarbeit nicht beteiligt, aber er ist der Vater des Unternehmens. Für ihn war Goethe Ruhepol, Inspirationsquelle und Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung. Er hat die Leidenschaft für den »Einzigen« mit Anton Kippenberg, dem legendären Chef des Insel-Verlages, geteilt und immer wieder Gedichte, Stücke, Prosa oder Briefe des Dichters gedruckt. Er schuf 1981 auch den Deutschen Klassiker Verlag, und ins Zentrum all der mustergültigen, reich kommentierten und exquisit ausgestatteten Editionen stellte er natürlich ihn. Sich mit Goethe zu befassen, schrieb er, »ist ein Abenteuer. Ist man einmal in seiner Welt, läßt sie einen nicht mehr los«. Er wollte, dass diese Erfahrung viele machen. Und sorgte dafür, dass für jede intensive Beschäftigung auch die beste Ausgabe zur Verfügung steht.
Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Band 40/1 und 40/2: Das Register zum Gesamtwerk. Hg. von Christoph Michel. Deutscher Klassiker Verlag. Zus. 2521 S., Leinen, 198 €. Vorzugspreis bei Abnahme der Gesamtausgabe 124 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.