Schlag gegen Lissabons Verarmungskurs
Portugiesen empören sich über Abwälzung der Krisenlasten / Forderung nach Neuwahlen
Zehntausende Demonstranten forderten am Sonnabend in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon den Rücktritt der konservativen Regierung. »Das ist das Ergebnis unseres Kampfes«, erklärte Arménio Carlos dazu, dass das Verfassungsgericht vor einer Woche zentrale Sparmaßnahmen für verfassungswidrig erklärt hat. Ohne die etwa 3000 Demonstrationen 2012 wäre das Urteil anders ausgefallen, meinte der Chef des Gewerkschaftsverbands CGTP, der zum »Marsch gegen die Verarmung« aufgerufen hatte. »Das ist der Schlag, der die Regierung zu Boden wirft«, rief Carlos und appellierte, nicht nachzulassen, bis es Neuwahlen gibt. »Es ist an der Zeit, dass die Regierung abtritt«, betonte er auf der Abschlusskundgebung, während die Menschen noch auf den Platz vor dem Parlament strömten.
Es war der Höhepunkt einer Protestwoche, in der es 42 Demonstrationen gab. »Das Land hält keine Sparpläne mehr aus«, kommentierte Carlos die Maßnahmen, die Portugal von der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank mit der Nothilfe verordnet wurden. Portugal erlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit der Nelkenrevolution 1974, als die Diktatur friedlich gestürzt wurde. Ein Hauch dessen ist wieder im Land zu spüren, da auch Militärs gegen die Sparpläne rebellieren.
»Ich sorge mich um die Zukunft meiner Kinder«, sagte Isabel Pereira, die seit drei Jahren ohne Job ist. Sie gehört wie ihr Mann, der an ihrer Seite demonstrierte, zu dem ständig anwachsenden Heer der Arbeitslosen im Lande. Es sei eine Schande, dass mit 18 Prozent so viele wie nie zuvor ohne Job sind. »Die Regierung beraubt uns und wir wollen sie nicht mehr«, erklärte sie zu den Versprechungen von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho seit zwei Jahren, die Lage werde sich bald bessern.
Demonstriert wurde präventiv, denn es war unbekannt, wie Coelho die 1,3 Milliarden Euro einsparen will, die das Verfassungsgerichtsurteil monierte. 2014 geplante Einschnitte im Bereich Bildung und Gesundheit sollen vorgezogen und das Renten- und Lohnsystem des öffentlichen Dienstes an das der Privatwirtschaft angepasst werden. So kündigte Coelho im Brief an die Troika neue Renten- und Lohnkürzungen an. Doch die wurden gerade für verfassungswidrig erklärt. Das gilt auch für die Besteuerung von Arbeitslosen- und Krankengeld. Auch daran will Coelho festhalten. Ausnehmen will er nur Bezieher von »Mindestunterstützung«.
Den Richtern wird der Versuch, die Troika auf diese Weise zu besänftigen, nicht gefallen. Sie hatten den Konservativen »Suchtverhalten« bei Verfassungsverstößen bescheinigt, denn schon 2012 wurden Kürzungen für verfassungswidrig erklärt. Der Haushalt müsse sich an der Verfassung orientieren und nicht die Verfassung am Haushalt, warnten sie.
Coelhos Regierung sinkt weiter in der Wählergunst. Mehr als 60 Prozent sprechen sich nach Umfragen für Neuwahlen aus. Dafür sorgte auch, dass Vizepremier Miguel Relvas nun seinen Hut nehmen musste, weil er seinen Hochschulabschluss betrügerisch erhalten haben soll. Nach zwei gescheiterten Anläufen wurde er 2007 nach nur einem Jahr an einer Privatuniversität zum Politologen gekürt. Der Skandal ist seit Monaten bekannt, erst jetzt zog Coelho Konsequenzen. Das Ressort des bisherigen »Superministers« wurde nun aufgespalten. Universitätsprofessor Miguel Poiares Maduro hat das Ministerium für Regionalentwicklung übernommen, während der bisherige Staatssekretär Luís Marques Guedes Minister für Parlamentarische Angelegenheiten wurde.
Die Euro-Finanzminister haben sich am Wochenende geeinigt, die Laufzeiten für die Rückzahlung der Notkredite Portugals und Irlands um sieben Jahre zu verlängern. Damit soll der Gang zurück an die Kapitalmärkte einfacher werden. In Lissabon wird aber längst am Plan B mit der Eurogruppe gearbeitet. Denn es ist zweifelhaft, ob das Land seine Staatsanleihen zu bezahlbaren Zinsen absetzen kann. Die »Financial Times« hatte schon vor dem Treffen ein internes Dokument veröffentlicht. Das sieht vor, die Rückzahlung der Notkredite zu verschieben. Analysiert wird darin auch die Möglichkeit, dass Portugal ein zweites Rettungspaket wie Griechenland braucht.
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