Warten auf den 21-Grad-Wecker
In der Igelstation Wittenberg wurden 120 kranke oder verwaiste Tiere über den Winter gebracht
Wittenberg. Zusammengerollt lässt das kleine Tier die Prozedur über sich ergehen. Ein Klecks Salbe auf die kahle Stelle, mit dem Finger verrieben und fertig. In wenigen Wochen wird nichts mehr an die Wunde unter dem Stachelkleid erinnern. »Das kommt von einer Rangelei mit seinen Mitbewohnern«, sagt Ingrid Dorschner von den Igelfreunden Sachsen-Anhalt. Knapp 120 kranke oder verwaiste Igel pflegt die Rentnerin derzeit in der Auffangstation in Wittenberg. 1998 gründete die 79-Jährige gemeinsam mit ihrem Ehemann und Vereinsvorsitzenden Johann Dorschner auf einem Firmengelände die Igel-Pension.
Das ganze Jahr über bringen Spaziergänger und Hobbygärtner verletzte Igel zu dem abgelegenen Areal. »Manche wurden angefahren, von Tieren gebissen oder von Menschen gequält«, erzählt Johann Dorschner. Einige junge Igel seien Waisen. »Sie kommen oft mit Würmern«, erläutert Ingrid Dorschner. Diese führten auch zu »Haarausfall«. Auf dem Tisch der gelernten Laborantin stapeln sich daher regelmäßig Päckchen mit Kotproben. »Ich kann erst unter dem Mikroskop die Parasiten bestimmen und dann die richtige Medizin geben«, so die Rentnerin. In den Schränken liegen Biotin-Verpackungen, Spritzen und Vitamine. Die Igelpflege ist nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv. Je Tier werden in der Igel-Pension pro Tag etwa 50 Cent für Katzenmilch, Katzenfutter oder Vitamine ausgegeben. Preiswerter sei allenfalls das Natur-Menü aus Insekten, Schnecken und Regenwürmern. Der Verein finanziert sich größtenteils aus Spenden. Zu den bekanntesten Unterstützern gehöre der Autor Bernhard Schlink. »Er hat erst den Rheinisch-Westfälischen Igelfreunden geholfen und dann uns, als ich den Verein übernommen habe«, erklärt der Rentner.
In den 1960er Jahren brachten die Töchter des Paares den ersten kleinen Findling ins Haus. »Das Wissen zur Igelei lesen wir uns an«, erzählt Johann Dorschner. Im Schulungszimmer des Vereins hält der ehemalige Biologie-Lehrer regelmäßig vor Schulklassen und anderen Interessierten Vorträge zu Jagdverhalten und Schlafrhythmus der Allesfresser. An den Wänden hängen Plakate über ihre Feinde - Auto, Sense, Feuer und auch Gruben.
»Löcher und Kellerschächte sollten tatsächlich abgedeckt werden«, sagt die Sprecherin des Naturschutzbundes Sachsen-Anhalt, Annette Leipelt. Die tapsigen Tiere könnten sich beim Sturz verletzen. »Die größte Hilfe für die Igel sind noch immer igelfreundliche Gärten«, sagt Leipelt. Den Winter könnten die Stacheltiere auch bedenkenlos in Reisig- oder Laubhaufen überstehen - außer sie seien verletzt.
Aufgrund des verspäteten Frühlings schlummern die Langschläfer in der Igel-Pension derzeit noch in den mit Zeitungspapier und Küchenrolle ausgelegten Quartieren. »Ab 21 Grad Celsius werden sie wieder aktiv«, erklärt Johann Dorschner. Bis dahin päppelt das Ehepaar weiter die putzigen Bewohner gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen auf.
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