Raus aus der Zwei-Seelen-Welt
Wie ein bayerischer Pfarrer seiner Gemeinde erklärt, dass er künftig als Frau leben will
Neufahrn. »Ich möchte Ihnen noch etwas ganz Persönliches sagen«, sagt Pfarrer Andreas Zwölfer nach der Predigt im Gottesdienst. Dann legt er seinen schwarzen Talar ab und tritt mit seiner Ehefrau, die ebenfalls Pfarrerin im niederbayerischen Neufahrn ist, vor die Gemeinde. Andreas Zwölfer ist ein bisschen aufgeregt, seine Stimme klingt höher als sonst. Die letzten Jahre habe er so erlebt hat, als sei er durchs Feuer gegangen, berichtet er. Und dann bricht er sein Schweigen über die Zwei-Seelen-Welt, die in ihm steckt. »Ich möchte mich outen« sagt er: »Ich bin eine transsexuelle Frau.«
Die Gemeinde bleibt still - es geht kein Raunen durch die schlichte Holzkirche in dem 1600-Seelen-Ort. Offenbar sind fast alle überrascht von dieser Nachricht. Die meisten Gottesdienstbesucher haben davon nichts geahnt, auch wenn das Pfarrerpaar im Vorfeld angekündigt hatte, es werde persönliche und berufliche Informationen für die Gemeinde geben. Sehr bewegend und berührend erzählt der heute 49-jährige Zwölfer, dass er schon als Kind ein Mädchen sein wollte und sich zu ihnen hingezogen fühlte. »Mit Fünf habe ich meine Mutter gefragt, wann werde ich schwanger?« Sie habe ihm geantwortet, »gar nicht, du bist ein Mann und hast keine Gebärmutter«. Schon damals fühlte er eine tiefe Traurigkeit, die ihm im späteren Leben bis heute geblieben sei. Doch über seine Transsexualität reden konnte er mit niemanden.
Lange Zeit habe er nicht gewusst, ob er verrückt sei. Heute weiß Zwölfer auch dank moderner Hirnforschung: »Ich bin nicht verrückt, das Gehirn ist richtig - aber der Körper passt nicht dazu.« Seine transsexuelle Entwicklung im Leben setze sich wie bei einem Puzzle aus einzelnen Steinen zusammen. Das letzte Teil habe erst vor zwei Jahren entdeckt und gespürt, als er beim Fasching gefragt wurde, ob man den »Herrn Pfarrer« schminken dürfe. Beim Abschminken spürte er dann: »Ich bin kein Mann, war immer eher ein Mädchen.«
Doch es folgten noch weitere Momente der Ungewissheit, wie es mit ihm weiter gehen soll - und da war die Angst, sich zu outen. Heute ist Zwölfer über seinen Schritt erleichtert. Mit Tränen in den Augen berichtet Zwölfer vor Gemeindegliedern vom größten Geschenk: Seine Ehefrau will an seiner Seite bleiben. Die Gemeinde, die beide seit Herbst 2011 seelsorgerlich betreuen, werden sie allerdings nach Pfingsten verlassen.
»Wir wollen keinen Streit und keine Spaltung in der Gemeinde«, begründet das Pfarrerpaar seinen Entschluss, auf eigenen Wunsch die Stelle zu wechseln. Unterdessen werden in der Kirche erste Stimmen laut: »Bleiben Sie doch!« Die ersten Versuche werden unternommen, den beliebten Pfarrer zum Bleiben zu bewegen. Dekan Siegfried Stelzner, der aus Landshut nach Neufahrn gekommen ist, um das Gespräch mit der Gemeinde zu moderieren, ist erleichtert über die positiven Reaktionen. Er verspricht, dass die bayerische Kirchenleitung Pfarrer Zwölfer auf seinen weiteren beruflichen und privaten Wegen begleiten und unterstützen wird. In der bayerischen Landeskirche handelt es sich um den erste Geschlechtsumwandlung eines Pfarrers, sagte ein Sprecher der Landeskirche dem epd. In anderen Landeskirchen hatte es in den letzten Jahren bereits ähnliche Fälle gegeben.
»Schade, dass der Herr Pfarrer geht«, betonen jedenfalls viele Gemeindeglieder. Ob jung oder alt. So hat der 16-jährige Sebastian kein Problem mit seinen Freunden demnächst über den Pfarrer und dessen Geschlechtsumwandlung zu sprechen. Ein 78-Jähriger katholischer Mann aus der Nachbargemeinde Ergoldsbach ist von der Offenheit des Pfarrers beeindruckt. Da müsse man nicht viel drum rum reden. »Das ist der richtige Weg«, meint der Katholik.
Der Seelsorger bekommt viel Verständnis und Respekt zu spüren. »Mir fehlen noch die Worte«, sagt eine Frau und zollt Zwöfler große Anerkennung dafür, »sich so zu outen«. Es sei ihr klar geworden, »wie Sie gelitten haben müssen«. Und fügt hinzu: »Hoffentlich finden Sie inneren Frieden.«
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