Wenn Rentner alte Bäume verpflanzen
Auch in Bayern arbeiten immer mehr Senioren
Wolfgang Nitschke war mit dabei, bei der Versetzung von zwei alten Platanen am Münchner Platz der Opfer des Nationalsozialismus. Der wird völlig neu gestaltet, dazu mussten die Bäume samt Wurzelwerk um 40 Meter versetzt werden. Einfach ist das nicht, denn gut 150 Tonnen wiegt so ein Baum. Und so rückten schwere Kräne an, um den Umzug zu bewerkstelligen. Dass nun Nitschke, Gartenbaumeister für Landschaftsbau beim Baureferat, mitmischte, hört sich logisch an, ist aber eine Besonderheit - noch jedenfalls: Denn Nitschke ist 66 Jahre alt, seit einem Jahr in Rente und einer der Senioren, die auch im Alter noch arbeiten. Die werden aber immer mehr: Die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter über 65 Jahre ist in Bayern von rund 20 000 in 2008 auf 27 000 in 2012 gestiegen.
»Alte Bäume versetzt man nicht, so heißt es doch«, sagt Gartenbaumeister Nitschke und deutet in dem grauen Baucontainer auf einen Plan an der Wand. »Großbaumverpflanzung mit Plattformtechnik«, steht da rechts unten. »Das hat es noch nicht gegeben, dass wir Bäume auf diese Art versetzen«, ergänzt er. Normalerweise werden Bäume abgesägt und neue gepflanzt. Diesmal nicht, es war der politische Wille des Stadtrates. Der Platz sollte ehrwürdiger als bisher gestaltet werden, um an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern.
Am alten Arbeitsplatz
Nitschke ist vier bis sechs Stunden pro Woche in Aktion - mit Werkvertrag. Den hat er mit der Stadt München abgeschlossen. Seine Aufgabe: Die großen Baustellen fertigstellen, an denen er maßgeblich beteiligt war. Er arbeitet sozusagen am alten Arbeitsplatz, unterstützt den neuen Chef.
Bayern liegt mit der Zunahme der älteren arbeitenden Bevölkerung in einem bundesweiten Trend. Rund 760 000 Senioren gingen 2011 in Deutschland einer bezahlten Tätigkeit nach, 386 000 waren es zehn Jahre zuvor. 120 000 davon sind heute sogar älter als 75 Jahre. Wer die 65 überschritten hat, darf soviel dazu verdienen, wie er will, ohne dass es auf die Rente angerechnet wird.
Und in welchen Branchen sind bayernweit die Rentner tätig? Auskunft gibt die Bundesagentur für Arbeit. Danach arbeiten mit 4032 die meisten Senioren - und das gilt sowohl für Männer und Frauen - in der Branche »Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen«. An zweiter Stelle steht allgemein mit 3360 Personen das Verarbeitende Gewerbe, speziell bei den Frauen aber das Gesundheits- und Sozialwesen. Fast 1000 Rentner (985) verdienten sich 2012 in Bayerns Gastronomie als Kellner, Bedienung oder Küchenhilfe ein Zubrot.
Warum genießen die Senioren nicht ihren Lebensabend, sondern werkeln und putzen, unterrichten und beaufsichtigen? Geld allein ist bei vielen (noch) nicht die Antwort, zumindest jedenfalls bei Gartenbauer Nitschke. »Wegen den paar Euro mache ich das nicht«, sagt er. Mit seiner langen Versicherungspflicht und vor allem durch die städtische Betriebsrente, die es längst nicht mehr in dieser Form gibt, hat er kein Problem, mit seinem Einkommen auszukommen.
Das Geld reicht nicht
Nitschke geht es um andere Dinge. Das wird bei Sätzen wie »Ich bin und bleibe Gärtner« und »Wenn es nach mir ginge, hätte ich nicht aufhören müssen« deutlich. Ihm geht es um Abwechslung im Alltag, darum aktiv zu bleiben. Denn es ist nicht einfach, nach 50 Berufsjahren sozusagen den Spaten abzugeben. Und es ist nicht so, dass seine Hobbies - Bergsteigen und Skifahren - ihm für seine Alterstätigkeit keine Zeit lassen.
Aber Gartenbauer Nitschke ist auch klar, dass er eher eine Ausnahme ist. »Viele Kollegen verstehen nicht, dass ich noch weitermache«, sagt der 66-Jährige. Und er hält auch nichts davon, den gesetzlichen Rentenbeginn nach hinten zu schieben: »Rente mit 67 oder 69, das ist meiner Meinung nach ein Schmarr’n«, sagt er ganz münchnerisch.
Warum arbeiten die anderen Senioren? Bei vielen ist es eine Mischung aus Kontaktpflege und Geldverdienen, wobei nicht selten die Kontaktpflege im Vordergrund steht. Andere, vor allem jene, die viel körperlich arbeiten mussten, reizt eine Seniorenarbeit wenig. Dachdecker, Kranführer, Bauarbeiter oder Pflasterer sind froh, die Beine ausstrecken zu können. Als Senioren könnten sie in ihren angestammten Berufen längst nicht mehr mithalten. Sie genießen den Lebensabend - jedenfalls wenn die Rente reicht. Hier sieht Ulrike Mascher, Vorsitzende des größten deutschen Sozialverbandes VdK, ein Problem: Es gebe Menschen, denen die Rente nicht ausreiche. Und diese müssten dann in wenig attraktiven Jobs wie Regale in Supermärkten auffüllen oder früh morgens Zeitung austragen dazuverdienen, um über die Runden zu kommen.
Zu hohe Mieten
Arbeit im Alter also als Notwendigkeit und nicht als freiwillige Tätigkeit mit Spaß an der Sache. Gerade in Großstädten mit hohen Mieten nimmt dies zu, immerhin beziehen in München bereits 12 000 Rentner die Grundsicherung im Alter. Das heißt, die Rente wird durch Sozialhilfe auf das Existenzminimum aufgestockt. Politiker, etwa der Linkspartei, warnen längst vor Altersarmut.
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