Lustvoller Sozialismus

Abgrenzung und Regierungsfähigkeit - mit ihrem Wahlprogramm will die LINKE beides

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die LINKE setzt im Wahlkampf auf Selbstbewusstsein - in Abgrenzung zu allen anderen Parteien. Etwas anderes bleibt ihr auch gar nicht übrig.
Lustvoller Sozialismus

Irgendwann holt Gregor Gysi immer diesen Satz heraus, so auch diesmal: Sobald die LINKE der Forderung der politischen Konkurrenz folgte und im Bundestag wie alle anderen Parteien abstimmte, wäre sie im gleichen Augenblick verloren. Weil ab sofort überflüssig. Gemeinsam mit den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger stellte der Fraktionschef am Freitag in Berlin das Wahlprogramm seiner Partei vor. In deutlicher Abgrenzung auch zu SPD und Grünen. Das »Regierungsprogramm«, das die Sozialdemokraten vor einer Woche beschlossen hatten, findet bei der LINKEN keine Gnade, trotz der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung, dass die SPD damit nach links gerückt sei. »Verkehrswidriges Verhalten« nennt es Kipping, links zu blinken, obwohl man gar nicht links abbiegen wolle. Und Gysi lästert: Einstimmig hat die SPD ihr Programm beschlossen, schon das wäre bei uns undenkbar ...

Auch wenn Gysi keine Kooperation grundsätzlich ausschließt - das Wahlprogramm, dessen Entwurf am letzten Wochenende »mit großer Mehrheit, bei einigen Enthaltungen«, vom Vorstand zum Leitantrag für den Parteitag im Juni in Dresden gekürt wurde, bietet prononciert Eigenes an. Unter dem Titel »100 Prozent sozial« werden ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent, eine europäische Vermögensabgabe, eine Reichensteuer von 75 Prozent auf jeden Euro Einkommen von über einer Million Euro im Jahr (nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge), ein Mindestlohn von zehn Euro, die Abkehr von der Rente mit 67 und der Rückzug der Bundeswehr aus allen Kriegseinsätzen gefordert.

96 Seiten hat der Leitantrag - viel Holz für den interessierten Wähler. Und Platz für alle Fraktionen in der Partei selbst. Denn zuletzt ist so ein Programm immer auch ein Instrument zur Selbstverständigung. Ausgewogen und zuweilen heikel. Das Leben ist halt vielschichtig, da ist ein weiter Bogen angeraten. »Wir wollen einen demokratischen - freiheitlichen, ökologischen, lustvollen - Sozialismus gestalten. Auf dem Weg dahin gilt es, viele Schritte zu gehen. Sie beginnen bei den Nöten und Sorgen, Wünschen und Träumen der Menschen.« 96 Seiten sind so schnell gefüllt.

Neben Protestpartei wolle die LINKE mehr denn je Gestaltungspartei sein, betont Parteichef Riexinger. Er verweist auf Reformprojekte, die »sofort umsetzbar« seien. Und alles sei seriös durchgerechnet. Die geforderten Ausgaben lägen bei 165 Milliarden Euro, ihnen stünden nach den Vorstellungen der Partei Einnahmen in Höhe von über 180 Milliarden Euro gegenüber. Mit dem Spannungsfeld zwischen Protest- und Gestaltungspartei ist ein interner Grundkonflikt auch der Partei selbst angesprochen. Dem Vorwurf, einigen gehe es doch nur ums Mitregieren, halten die Gescholtenen regelmäßig entgegen, kleine Verbesserungen der Lebensumstände konkreter Menschen seien ihnen wichtiger als die Reinheit der Lehre, die ohne praktische Folgen bleibe.

Doch zwischen Protest und Gestaltung liegt ein unter Umständen erhebliches Wählerpotenzial. So ergeben jüngere Umfragedaten, dass rund ein Drittel der Sympathisanten der soeben gegründeten Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) bei der letzten Bundestagswahl noch die Linkspartei gewählt haben. Die LINKE teilt sich Protestwähler mit anderen Parteien, das ist nicht neu; erst hatten die Piraten für Abwanderung gesorgt, nun könnte es die AfD tun. Kipping hofft, dass beim genaueren Hinsehen schnell der »Wohlstandschauvinismus, die antidemokratische Grundhaltung« der Männerpartei AfD sichtbar werde. Die LINKE sehe gerade in jenen Schichten ihr Wählerpotenzial, die von der AfD als »Nettostaatsprofiteure« verunglimpft würden - Erwerbslose, Beamte, Rentner. Immerhin verbindet die »Wir-gegen-alle«-Stimmung die Linkspartei ganz real mit Protestwählern. Auch wenn diese es gar nicht bemerken.

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