Riskante Erbschaften
Wenn ein Nachlass an den Staat fällt, kann das vielerlei Gründe haben - Beispiele aus dem Nordosten
Schwerin/Rostock. Des einen Leid ist des anderen Freud: Wegen zunehmender Überschuldungsfälle privater Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern schlagen Angehörige aus Angst vor nachträglichen finanziellen Forderungen immer öfter eine Erbschaft etwa von Immobilien aus. Gesetzlicher Erbe ist dann das Land. Denn Nachlässe werden dem Fiskus zugesprochen, wenn sich keine Erben finden oder diese die Hinterlassenschaften ablehnen, wie ein Sprecher des Schweriner Finanzministeriums erklärte. Das Bundesland könne ein Erbe zwar nicht ausschlagen, übernehme aber auch keine Schulden, die den Wert der Erbschaft übersteigen, hieß es.
122 kugelsichere Westen
Verwandte können ein unwillkommenes Erbe einfach ausschlagen - das Land nicht. Sprich: Der Staat (Fiskus), und zwar das Bundesland, in dem der sogenannte Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes gelebt hat, ist dann der gesetzliche Erbe. Das setzt voraus, dass kein anderer gesetzlicher Erbe, also etwa Kinder oder auch Tanten, vorhanden sind und erben wollen.
So kommt es, dass Schrottimmobilien, alte Autos, Töpfe und Pfannen, aber auch große Vermögen an ein Bundesland gehen können. Der Bund ist nur dann erbberechtigt, wenn der letzte Wohnsitz des Verstorbenen nicht festzustellen ist. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist die sogenannte Fiskalerbschaft geregelt. Dass Verstorbene das Land direkt im Testament als Erbe einsetzen, kommt eher selten vor. Schlagen Angehörige das Erbe beispielsweise wegen Überschuldung aus, erklären Notariate als Nachlassrichter bei Bedarf das Land zum Erben. Sind keine gesetzlichen Erben bekannt, wird zunächst nach ihnen gesucht - die Fiskalerbschaft ist eine langwierige Sache. (dpa/nd)
In den vergangenen Jahren ist laut Finanzministerium die Zahl der Fiskalerbschaften im Nordosten kontinuierlich gestiegen. So gab es 2008 noch 32 Fälle, dann 35 Erbschaften 2009, 42 im Jahr 2010 und 50 Fälle 2011. Zwischen 1999 und 2007 seien jährlich im Durchschnitt nur 17 neue Landeserbschaften hinzugekommen, hieß es. Die steigende Tendenz sei überwiegend den Ausschlagungen der Angehörigen wegen Überschuldung der Erblasser zuzuschreiben, erklärte ein Sprecher.
Bislang habe das Land jedes Jahr einen Überschuss aus den Nachlässen erzielt, wobei die Gewinnhöhen deutlich schwankten, erklärte Angelika Andresen vom Betrieb für Bau und Liegenschaften (BBL) Rostock. Oft stelle sich erst beim »Versilbern« des Vermögens heraus, dass der vermeintlich überschuldete Tote unterm Strich gar nicht so arm war wie von den Hinterbliebenen vermutet.
Mit zunehmender Verschuldung von Firmen oder privaten Haushalten im Nordosten indes könnten künftig die Fiskalerbschaften weiter nach oben gehen und zugleich die Gewinnspannen fürs Land abnehmen, schätzte die Dezernentin für Liegenschaftsangelegenheiten ein. Aktuell aber sei der Tresor des BBL gut gefüllt. Neben einem einzelnen Goldzahn fänden sich dort Armbänder aus Bernstein, Ringe und weiterer Schmuck, sagte die Juristin. »Wir wollen bald wieder verkaufen.« Wertsachen, wie die im Rostocker Tresor verwahrten, sowie Immobilien würden regelmäßig zugunsten des Landeshaushaltes veräußert. Manchmal steht das Land auch direkt im Testament. So gingen vor zwei Jahren 90 000 Euro von einer Neubrandenburgerin an den Fiskus, wie ein Sprecher des Innenministeriums mitteilte. Nach dem letzten Willen der Toten sollte das Geld der Polizei zugute kommen. 122 kugelsichere Westen wurden gekauft, weil noch immer nicht jeder Vollzugsbeamte eine passgerechte Schutzweste besitze. »Ein Erbe, über das wir uns echt gefreut haben«, sagte Verwalterin Andresen.
Baufällige Häuser
Schwieriger sei für das Land die Übernahme von Grundstücken mit baufälligen Gebäuden, erklärte die Dezernentin. »Dann müssen wir für einen verkehrssicheren Zustand der Immobilie sorgen«, sagte sie. Schlimmster derartiger Erbfall sei das 1,2 Hektar umfassende Gelände einer ehemaligen Großbäckerei in Teterow (Landkreis Rostock). Der völlig marode Betrieb wurde jetzt abgerissen, das Gelände solle als Gewerbegebiet versteigert werden.
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