Friedrich will mehr Kameras aufstellen
Kritiker werfen dem Innenminister vor, den Anschlag von Boston zu instrumentalisieren
Hans-Peter Friedrich hält Videoüberwachung für ein probates Mittel gegen Kriminalität. Nun hat der Bundesinnenminister den Bombenanschlag von Boston zum Anlass genommen, seine Forderung zu erneuern. Denn in den USA waren die Verdächtigen von Überwachungskameras gefilmt worden. »Die Ereignisse in Boston zeigen erneut, wie wichtig die Überwachung des öffentlichen Raums durch Videokameras für die Aufklärung schwerster Straftaten ist«, meinte der CSU-Politiker im Gespräch mit der »Bild am Sonntag«. »Deshalb arbeiten wir zum Beispiel mit der Bahn daran, die Videoüberwachung an den Bahnhöfen zu stärken.«
Für den Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, zeigen die Anschlagversuche in Köln 2006 und in Bonn 2012 sowie der nun gelungene Angriff in Boston, »welche große Bedeutung eine Videoüberwachung bei potenziellen Anschlagsgefahren haben kann«. Sie könne »abschreckend wirken und auch entscheidend bei der Aufklärung von Straftaten helfen«, sagte er dem Magazin »Focus«.
Auch bei Friedrichs Parteifreunden in der Union kommen seine Ankündigungen gut an. Schwierigkeiten haben die Konservativen im Bereich der sogenannten inneren Sicherheit allerdings immer wieder mit ihrem Koalitionspartner FDP. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hält anders als Friedrich die bestehenden Sicherheitsgesetze für ausreichend. Der Anschlag von Boston sollte »nicht für eine innenpolitische Debatte instrumentalisiert werden«, sagte die Liberale der »Welt am Sonntag«. Auch Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle warnte vor überzogenen Reaktionen auf den Terroranschlag.
Politiker der Oppositionsparteien zeigten sich ebenfalls widerständig. Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, sagte am Samstag auf der rheinland-pfälzischen Landesdelegiertenversammlung in Bingen über den Vorstoß des Innenministers: »Das ist eine Schäbigkeit aus der rechten Ecke.« Wer Verbrechen verhindern wolle, müsse für mehr Präsenz der Polizei in der Fläche und auf Bahnhöfen sorgen, so Trittin.
Linkspartei-Innenpolitiker Jan Korte konstatierte, dass es immer die gleichen Reflexe seien, »die der Innenminister und seine konservativen Gesinnungsgenossen zeigen«. Die Städte würden durch mehr Videoüberwachung nicht sicherer. Korte will stattdessen auf gut ausgebildete und ansprechbare Polizisten setzen. »In diesem Bereich findet ein personeller Kahlschlag statt, und unsere Sicherheit soll weiter privatisiert werden«, monierte der LINKE-Politiker.
Der Parlamentsgeschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, will auch »keine totale Kontrolle öffentlicher Räume«. Die Sozialdemokraten sind aber für »Videoaufnahmen an kritischen, potenziell gefährlichen Orten, wo die Gefahr von Anschlägen besteht«. Die Diskussion sollte laut Oppermann in aller Ruhe geführt werden, »nicht immer nur dann, wenn es sich in einer tragischen Situation als opportun erweist«.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lehnt eine flächendeckende Videoüberwachung ab. Ihr Chef Bernhard Witthaut verwies im »Focus« auf das Bundesverfassungsgericht: »Karlsruhe hat abschließend entschieden, dass eine Videoüberwachung nur an gefährlichen Orten erlaubt ist.«
Nach Informationen des »Spiegel« spähte der Verfassungsschutz seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 insgesamt 962 Personen aus dem islamistischen Milieu mit Kameras aus. Aktuell beobachte das Amt 20 mutmaßliche Islamisten, aber auch Rechte mittels Kamera-Equipment, berichtet das Hamburger Magazin. Dies gehe aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Das Bundeskriminalamt ließ in den letzten zwölf Jahren 84 Personen per Video überwachen, um Terrorstraftaten zu verhindern oder aufzudecken. Derzeit sollen laut BKA drei Videomaßnahmen laufen.
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