Mindestlohn oft nur auf dem Papier
Bundesregierung: 2012 wurden über 2000 Ermittlungsverfahren gegen Arbeitgeber eingeleitet
1996 wurde im Bauhauptgewerbe ein Mindestlohn eingeführt - damals ein Novum im Beschäftigungssektor. Inzwischen gelten für 13 Branchen - von der Abfallwirtschaft über Dachdecker und Gebäudereiniger bis zu Zeitarbeitern - Vereinbarungen zu Lohnuntergrenzen; als vorerst letzter Berufszweig kamen Anfang der Woche die Friseure hinzu. Die vereinbarten Branchenmindestlöhne reichen von zunächst 6,50 Euro für Friseure in Ostdeutschland bis zu 13,70 Euro für Fachwerker, Maschinisten und Kraftfahrer in Westdeutschlands Baugewerbe. Doch längst nicht alle der ca. vier Millionen Beschäftigten in diesen Branchen erhalten die vereinbarten Mindestgehälter auch. Die Bundesregierung kann aufgrund fehlender Meldepflicht der Betriebe nicht angeben, »wie hoch der Anteil der Mindestlohnbezieher in den jeweiligen Branchen« sei.
Zudem werden die Mindestlöhne offenbar systematisch unterlaufen, wie die Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen zeigt, aus der die »Süddeutsche Zeitung« am Donnerstag zitierte. Demnach kontrollierte die für Mindestlohnverstöße zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit im Jahr 2012 insgesamt 34 372 Betriebe, rund zwei Drittel davon im Baugewerbe. In der Gebäudereinigungsbranche prüften die Kontrolleure 3343 Mal, im Sicherheitsgewerbe 1924 Mal. 2188 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, weil der Mindestlohn nicht bezahlt wurde - davon 1690 in der Bauwirtschaft. In der Gebäudereinigung waren es demnach 248, in der Pflegebranche 50 Fälle.
Allerdings fehlt es an Kontrolleuren, laut Finanzministerium sind nicht einmal alle Planstellen besetzt. »Gerade in missbrauchsanfälligen Branchen müssen die Kontrollen deutlich verstärkt werden«, forderte deshalb die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke, die die Anfrage gestellt hatte. Hilger Leprich, Vorsitzender der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft BDZ, verlangte von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) 500 zusätzliche Betriebsprüfer, die sich nur um Mindestlöhne kümmern sollen.
Am Donnerstag war der Mindestlohn auch Thema im Bundestag. Das Parlament beriet über Anträge der drei Oppositionsparteien und einen Gesetzentwurf des Bundesrates für einen gesetzlichen Mindestlohn. Damit könne »der Entwicklung, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht menschenwürdig leben können, ein wirksames und transparentes Instrument entgegengesetzt werden«, heißt es im von SPD und Grünen initiierten Entwurf, der eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro vorsieht. Die LINKE fordert einen Mindestlohn von zehn Euro, der zudem jährlich steigen müsse.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, ein Mindestlohn müsse Teil einer gerechten Politik sein. Viele Menschen sähen ihre Leistung nicht mehr anerkannt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warf Steinbrück dagegen vor, das Land schlechtzureden. Die Koalition lehnt die Oppositionsanträge ab.
DGB-Vorstand Claus Matecki kritisierte die Haltung der Bundesregierung: Damit habe die Koalition erneut bewiesen, »wie weit sie sich von den Lebensrealitäten vieler Deutscher und auch von ihren eigenen Wählern entfernt« habe. Selbst zwei Drittel der Unionsanhänger sprächen sich für allgemeine Mindestlöhne aus. Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, sagte, der Mindestlohn sei »eine unverzichtbare Maßnahme gegen die drohende Gefahr massenhafter Altersarmut«.
Der Direktor des Forschungsinstitutes der Bundesagentur für Arbeit, Joachim Möller, sagte im Deutschlandradio Kultur, große Teile der Wirtschaft seien nicht mehr tarifgebunden. Dort müssten Arbeitnehmer besonders geschützt werden: »Der Mindestlohn könnte diesen Schutz liefern«.
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