Das Geheimnis der Schweinswale
Verwandte der Delfine kehren trotz des Verkehrs in die Elbe zurück - Experten rätseln, was sie treibt
Hamburg. »Da ist einer: Direkt auf 12 Uhr, hundert Meter vor uns.« Die Stimme von Veit Hennig klingt aufgeregt. Seit über einer Stunde schon kurvt der Biologe vom Zoologischen Institut der Universität Hamburg mit einem Schlauchboot auf der Elbe herum. Gemeinsam mit seiner Kollegin Denise Wenger von der Gesellschaft zur Rettung der Delphine sucht er vor Hamburg-Teufelsbrück nach Schweinswalen. Die beiden Naturwissenschaftler wollen erforschen, was die Meeressäuger zwischen Anfang März und Mitte Juni in die dicht befahrene Elbe treibt.
Einst bis nach Magdeburg
Eins ist sicher: Der Schweinswal »verirrt« sich nicht in Norddeutschlands Flüsse, sagt Wenger: »Es ist eine Rückeroberung seines ursprünglichen Lebensraumes.« Noch vor hundert Jahren tummelten sich die Meeressäuger in der Weser bis südlich von Bremen und in der Elbe sogar bis hinauf nach Magdeburg. »Damals vermutete man, dass sie den Fischschwärmen folgten.« Es waren jedoch nur Vermutungen und nicht das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen. »Was genau in den Flüssen passierte, hat niemand geguckt.«
Durch Jagd und Umweltverschmutzung waren die Schweinswale Mitte des vergangenen Jahrhunderts aus den Flüssen und Teilen der Nordsee verschwunden. Doch mittlerweile ist die Jagd auf sie verboten; und da das Wasser in den vergangenen 20 Jahren deutlich sauberer geworden ist, siedelten sich viele Fischarten wieder an und erholten sich auch zahlenmäßig. »Seit 2007 haben wir jedes Jahr Meldungen von Schweinswal-Sichtungen erhalten«, erzählt Wenger. »Offensichtlich hat es sich unter ihnen herum gesprochen, dass man jetzt wieder in die Elbe schwimmen und Futter finden kann«, sagt sie mit leisem Lachen. Vielleicht sei der Nahrungsdruck in der Nordsee so groß, dass es sich für die Schweinswale lohnt, sozusagen für ein paar kleine Fische in eine stark befahrene Wasserstraße hineinzuschwimmen und das Risiko auf sich zu nehmen, von einem Schiff angefahren zu werden - oder auch nur den Lärm auszuhalten. Denn in der Nordsee meiden sie die stark befahrenen Routen.
Manchmal müssen die Säuger ihren Ausflug in den Fluss aber mit dem Leben bezahlen. Erst dieser Tage zog die Hamburger Feuerwehr ein totes Tier aus der Elbe bei Blankenese.
Wenger und ihr Kollege Hennig wollen jetzt erforschen, wann und wo sich die Schweinswale in der Elbe aufhalten, wie viele unterwegs sind, was sie hier machen und welche Fischarten sie jagen. Darum halten derzeit 15 Studenten der Universität Hamburg an verschiedenen Orten Ausschau nach den Meeressäugern, ebenso die Besatzungen auf den Schiffen der Wasser- und Schifffahrtsämter, aber auch Ornithologen, die zurzeit das Brutgeschehen der Vögel verfolgen. So berichtete ein Vogelschützer den Walforschern von einem Seeadler, der am 28. März in der Nähe von Glückstadt von einem Schweinswal-Kadaver fraß. Unterstützung gibt es auch noch durch sogenannte Klick-Detektoren. Das sind armlange, unscheinbare graue Plastikrohre mit einem Ultraschall-Mikrofon im Inneren, die die Klick-Laute der Tiere in einem Radius von bis zu 200 Metern automatisch registrieren und auswerten: Wissenschaftler haben nämlich das Klicken - die Sprache der Schweinswale - bereits soweit entziffert, dass sie jagende von sich orientierenden Tieren unterscheiden können.
Überhaupt nicht scheu
Der erste Schweinswal auf der Elbe wurde dieses Jahr am 27. Februar bei Finkenwerder gesichtet. Zwei Monate später seien es schon 150 Sichtungen. Bereits vor Auswertung der gesammelten Daten haben Veit und Wenger erstaunliche Ergebnisse zusammengetragen: »Bislang gelten Schweinswale als äußerst scheue Tiere. Doch die genauen Beobachtungen ergaben jetzt, dass Schweinswale verspielt sind und ganz schön frech sein können.« So habe ein Motorbootfahrer berichtet, dass eine Gruppe von Walen so nahe herankam, dass er sie vom Boot aus hätte streicheln können.
Letztendlich sind es auch ganz schlaue Jäger, die gemeinsam und arbeitsteilig ihrer Beute nachstellen: »Zuerst haben sie die Fische gezielt in ein Hafenbecken getrieben. Danach haben einige sie in Schach gehalten, damit sie nicht wieder rauskonnten, während die anderen drinnen jagten. Irgendwann haben sie sich dann abgewechselt«, erzählt Wenger.
Sie selber sei beim Osterspaziergang nahe Teufelsbrück von zwei Schweinswalen begleitet worden: »Die schwammen sieben Minuten lang direkt am Ufer neben uns her: Wir konnten sie richtig atmen hören.« In Büchern werde das Atmen des Schweinswals als zischender, scharfer Blas beschrieben, sagt sie. »Aber für mich hörte es sich sehr menschlich an.«
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