Hoeneß, Niebel, CSU: Zwischenmenschlich nacharbeiten

Reiner Haseloff wurde neulich von der Reue angewandelt. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt hatte seine Wissenschafts- und Wirtschaftsministerin entlassen, weil diese sich den Kürzungsvorgaben im Hochschulbereich widersetzen wollte. Wenig später tat es dem CDU-Mann leid. Aber nicht, weil er seinen Kurs inzwischen falsch fand. Als neuen Minister holte er sich den eben abgewählten Finanzminister aus dem Nachbarland Niedersachsen – also einen willigen Fachmann fürs Kürzen. Nein, Haseloff bedauerte die Form des Rausschmisses: Er hatte es der Ministerin am Telefon mitgeteilt. Deshalb müsse nun, so Haseloff, „zwischenmenschlich noch nachgearbeitet werden“.

Man spürt förmlich die Empathie, die aus diesen Worten spricht. Zwischenmenschlich nacharbeiten – das kann nur ein Terminus aus dem Kleinen Wörterbuch des Machttechnikers sein. Synonym verwendbar: personalpolitisch optimieren; kommunikativ justieren.

Zwischenmenschlich nachgearbeitet wird in diesen Tagen auf zahlreichen Ebenen. Beispielsweise in der CSU. Die Bayern-Partei, so etwas wie eine große Familie, bewies auch im Kleinen ausgesprochenen Familiensinn. 17 ihrer Landtagsabgeordneten und noch einige andere Politiker haben engste Familienangehörige in ihren Büros beschäftigt. Eine schöne Geste des Zusammenhalts in Zeiten, in denen sich klassische familiäre Bindungen immer mehr auflösen. Ein Signal einer wertkonservativen Partei. Ein paar Politiker aus anderen Parteien konnten sich auch für dieses Modell des steuerfinanzierten politischen Familienbetriebs erwärmen, aber die CSU ist – wie in vielen anderen Dingen auch – einsame Spitze. Nun aber ist die Öffentlichkeit sauer, die Partei ist im Wahlkampf aufgeschreckt. Politiker entlassen Gatten, Kinder, Eltern, Rücktritte finden statt. Alles sehr unschön. Zwischenmenschlich muss da extrem hart nachgearbeitet werden, nachdem Jahre und Jahrzehnte zwischenmenschlich vorgearbeitet wurde.

Oder nehmen wir Ulrich Hoeneß. Der ist ja nun ganz arm dran. Ein paar Millionen sind futsch, der Ruf ist ramponiert. Warum? Weil die Neidgesellschaft ihm die Früchte seiner harten Arbeit nicht gönnt. Da muss man schon ein wenig zusammenhalten – eben zwischenmenschlich nacharbeiten. Erst recht, wenn der Bundespräsident sich erdreistet, mal ein klares Wort in die richtige Richtung zu äußern. Steuerbetrug sei verantwortungslos und asozial, hat Joachim Gauck in einem Interview gesagt. Empörung!

„Die Welt“, das Zentralorgan der Besser- und Bestverdienenden, schwingt sich zum rechtsphilophischen Höhenflug auf: Eine Gesellschaft sei „nur dann fair, wenn sich jemand wie Hoeneß nicht auf solche hektische Art dafür rechtfertigen muss, einer menschlichen Schwäche erlegen zu sein“. Eine menschliche Schwäche, so kann man eklatanten Rechtsbruch auch nennen. Und: Eine Gesellschaft sei auch nur dann fair, „wenn jemand wie Hoeneß ohne Zutun von Staatsanwälten begreift, dass Schwarzfahren … auch beim Finanzamt ein Delikt ist“. Jemand wie Hoeneß – was heißt das? Dass „jemand wie Hoeneß“ mit solchen Verdiensten um den Millionärsfußball schon irgendwie machen kann, was er will, wenn er es nur irgendwann ganz von selbst bereut?

Zwischenmenschlich nachgearbeitet hat auch Bayern-Trainer Jupp Heynckes, und zwar so, dass einem die Tränen der Rührung kommen. „Wir haben“, sagte er nach dem Rückspiel gegen Barcelona, „auch für Uli gespielt.“ Warum? „ Weil der „in letzter Zeit Unwahrscheinliches ertragen musste. Ich finde, das ist etwas, was ein Mensch gar nicht aushalten kann.“

Ja, das Wissen um ein paar Millionen Schwarzgeld kann enorm belasten. Das machen sich Menschen ohne diese Versuchung gar nicht richtig bewusst. Im Therapiegespräch mit der "Zeit" wurde das klar herausgearbeitet. Beziehungsweise zwischenmenschlich nachgearbeitet. Hoeneß schildert sein Leiden schonungslos: „Ich schlafe sehr schlecht, ich schwitze sehr viel in der Nacht, was ich eigentlich gar nicht kenne. Ich wälze mich und wälze mich. Und dann wälze ich mich nochmal. Und denke nach, denke nach und verzweifle. Ich bin morgens auch manchmal schon eine Stunde nach dem Aufstehen völlig fertig." Was man schon immer ahnte: Geld macht nicht glücklich. Ist das nicht schon Strafe genug? Muss man jetzt noch weiter auf dem Uli herumhacken? Bereut er nicht ganz ohne Zutun von Staatsanwälten?

Zum Schluss noch zwei Beispiele dafür, dass auch anderswo aktiv zwischenmenschlich nachgearbeitet wird. Die Berliner Polizei bedauert es zutiefst, vor einigen Jahren V-Leuten aus der Naziszene türkische Decknamen wie Murat und Ibrahim verpasst zu haben. Das müsse als unsensibel bewertet werden, heißt es in einer dürren Mitteilung zu dem bizarren Vorgang, der immerhin beweist, dass der Polizei auch im Umgang mit unangenehmen Themen ihr herzlicher Humor nicht abhanden kommt. Und schließlich: Entwicklungsminister Dirk Niebel soll einem Fernsehbericht zufolge Dutzende FDP-Parteifreunde in lukrative Posten seines Ministeriums und angeschlossener Einrichtungen gehievt haben. Da sage noch jemand, die FDP sei die Partei der sozialen Kälte.

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