Licht, Bildung, Fernsehen
In Laos soll ein großer Mekong-Staudamm Entwicklung bringen - Umweltschützer und Anrainerstaaten warnen vor den Folgen
»Jetzt fehlen nur noch die Ableser!« Herr Dschok meint die Stromzähler, die an den neuen Leitungsmasten angebracht werden müssen. Aber das ist nur ein Detail: Im Dorf Ban Kok am Mekong wird der Fortschritt Einzug halten! Verheißungsvoll funkeln die neuen Leitungen in der Sonne. »Strom bedeutet Licht, Bildung, Fernsehen. Wir haben sehr, sehr lange darauf hingearbeitet«, sagt der 65-Jährige, der Vorsitzender der Altersunion der Laotischen Revolutionären Volkspartei in seinem Dorf ist. Herr Dschok sagt: »Der Sayaburi ist ein Segen für das ganze Mekongtal.«
Sayaburi heißt eine Provinz im Nordwesten von Laos, aber auch ein Wasserkraftprojekt. Die Baukosten betragen etwa drei Milliarden Euro, in sechs Jahren soll das Kraftwerk Strom liefern. Seit Vize-Energieminister Viraphonh Viravong im November den Grundstein für das 30 Meter hohe Stauwerk legte, rollen die Bagger. Am Ostufer des Mekong sind riesige Arbeitersiedlungen in den Berg geschlagen worden; eine Infrastruktur mit Tanklagern, Wasseraufbereitungsanlagen, Stromtransformatoren und Versorgungsstellen ist entstanden. Der Lärm von Schlagbohrern und Dampfwalzen ist zu vernehmen, Laster transportieren Betonstahl, Kräne drehen sich. Eine Kolonne von Kippern setzt mit Geröll und Gestein dem Flussbett zu. Der Mekong ist bereits umgeleitet, auf dem früheren Flussgrund haben die Betonarbeiten für den Staudamm begonnen. Schließlich muss es schnell gehen: Wenn demnächst die Regenzeit anfängt, wird der Mekong um vier, fünf Meter anschwellen. Dann lässt es sich nicht gegen das Hochwasser anbauen.
Ban Kok liegt unterhalb des künftigen Damms, die Elektrifizierung des Dorfs ist ein Nebenprodukt des Großprojektes. Oder der Versuch, die Einwohner positiv zu stimmen? »Die Vorteile liegen auf der Hand«, sagt Herr Dschok. Als Verbandsleiter soll er in sieben Dörfern dafür sorgen, dass die Sorgen der Älteren gehört werden. Und dass diese sich die Visionen der Partei zu eigen machen.
Laos soll zur »Batterie« für Südostasien ausgebaut werden. Über 150 Wasserkraftprojekte gibt es, bislang sind 14 Staudämme an Nebenflüssen des Mekong in Betrieb. Schon 2015 soll der Stromexport nach Thailand, China und Vietnam mehr Devisen einbringen als das Geschäft mit Gold und Kupfer. »Die Nachbarstaaten bekommen umweltfreundliche Energie, Laos bekommt Strom und die Leute aus unserem Dorf bekommen Arbeit«, sagt Herr Dschok.
Eine Katastrophe, findet dagegen Marc Goichot, der in der Hauptstadt Vientiane für den Umweltverband WWF arbeitet. »Der Mekong ist das produktivste Fischreservat der Welt: Proteinquelle für 60 Millionen Menschen.« Dies verdanke der Fluss der Fließgeschwindigkeit, den Sedimenten, dem Wechsel zwischen Regen- und Trockenzeit. Die Chinesen nennen den Mekong »turbulenter Fluss«. Damit wäre Schluss, wenn die Pläne realisiert werden: »Neun Dämme sind allein am Mekong geplant«, sagt Goichot. Mit seinen 32 Metern Höhe und 820 Metern Breite sei der Sayaburi nur der außenpolitische Testballon.
Die Flussanrainer Kambodscha und Vietnam haben nämlich scharf interveniert: Vor allem der Einfluss der Vietnamesen, die im Krieg gegen die USA wichtige Nachschubrouten in Laos unterhielten, ist in Vientiane groß. Das Mekong-Delta in Vietnam gilt als Reiskammer Südostasiens, bis zu drei Ernten fahren die Bauern auf dem fruchtbaren Schwemmland ein. »Wegen des Klimawandels ist der Stress bereits heute enorm«, sagt WWF-Experte Goichot. Der steigende Meeresspiegel hat dazu geführt, dass dem Delta Land verloren geht. Und dass das Grundwasser immer mehr versalzt. »Wenn jetzt auch noch die Sedimente als Baustoff ausfallen, droht das Delta umzukippen.«
»Das Wasser strömt über den Damm«, sagt Boun Vien Chaupasich, der mit seiner Familie direkt gegenüber der Baustelle lebt. Er ist stellvertretender Bürgermeister und sein Dorf Ban Pak Neu etwas Besonderes: Die meisten leben hier von der Goldwäsche, manche brächten an nur einem Tag Goldstaub im Wert von 100 000 Kipp mit nach Hause - umgerechnet zehn Euro, auf dem Land in Laos unglaublich viel Geld.
Chaupasich selbst hat vor zehn Jahren noch als Fischer gearbeitet, »aber heute bringt das kaum noch Erfolg«. Das elektrische Fischen sei mittlerweile verboten, »es gibt empfindliche Strafen«. Elektrisches Fischen bedeutete: dem Fluss einen Stromschlag versetzen. Natürlich sind dabei alle Fische gestorben, auch die Brut, der Nachwuchs, die Beutetiere. Der Vizebürgermeister hat umgesattelt: In der Regenzeit baut er Reis an, in der Trockenzeit Mais, Sesam und Maniok. »Die Partei hat zugesagt, dass für die Fische über den Sayaburi-Damm eine Treppe gebaut werden soll«, sagt Chaupasich. Damit sie weiterhin in ihre Laichgebiete flussauf und zum Paaren ins Meer ziehen können.
Seit Jahren debattiert eine Kommission der Flussanrainer die laotischen Pläne. China, Myanmar, Kambodscha, Thailand und Vietnam wollen, dass alles so bleibt am Fluss der Flüsse. Laos beugte sich dem Druck und verschob seine Dammprojekte bis zur Klärung durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die liegt vor und bescheinigt dem Damm allenfalls lokale Auswirkungen.
»Die Umweltprüfung ist eine komplette Farce«, schimpft Mark Goichot. Ein Schweizer Ingenieurbüro habe das von Laos gewünschte Ergebnis aufgeschrieben. »Das Gutachten hält europäischen Standards nicht einmal in Ansätzen stand«, so der WWF-Experte für den unteren Mekong. Tatsächlich sei der Strom noch weitgehend unerforscht. Neuseeländische Wissenschaftler haben allein im Oberlauf knapp 1000 verschiedene Fischarten festgestellt. Goichot: »Da gibt es Arten, die sich allein von den Flusssedimenten ernähren. Fehlen die, sterben die Fische.«
»Ich bin jetzt reich!« Vizebürgermeister Boun Vien Chaupasich strahlt übers ganze Gesicht. »Sie haben mir 14,6 Millionen Kip für mein Haus bezahlt.« Die Summe entspricht anderthalb jährlichen Durchschnittseinkommen in Laos. Das Goldgräberdorf Ban Pak Neu ist eines der ersten, die umziehen sollen. Ein neuer Dorfplatz ist fünf Kilometer stromauf in die Felsen geschlagen worden. »Das Schöne ist: Wenn ich will, kann ich mein altes Haus sogar mitnehmen.«
Etwa 200 000 Menschen werden durch den Damm ihre Felder und Gärten am Mekong-Ufer verlieren und entschädigt werden. Gibt es Klagen über die Umsiedlungen? »Alle sind zufrieden«, sagt Chaupasich und holt weiter aus: »Im neuen Dorf gibt es eine Straße. Für die Bauern bedeutet das: Sie können ihre Ware in der Stadt verkaufen. Am Damm gibt es auch Arbeit: Manche arbeiten als Fahrer für die Ingenieure, andere als Maurer. Das ist eine bessere Arbeit als auf dem Feld.«
Am Sayaburi prallen Welten aufeinander: »In Europa oder Nordamerika sagen heute die Experten: ›Hätten wir vor 40 Jahren gewusst, was wir hier anrichten werden, hätten wir das Staudammprojekt anders gemacht.‹« Das ist die Stimme von Mark Goichot. Herr Dschok oder Vize-Bürgermeister Chaupasich sagen: Endlich wird es Licht.
Im Oktober 2012, als der Baustart noch nicht verkündet war, hatte der österreichische Konzern Andritz in einer Börsenmitteilung den Abschluss eines Vertrages über »die elektromechanische Ausrüstung für das Laufkraftwerk Sayaburi, Demokratische Republik Laos« vermeldet. Acht Kaplanturbinen mit einem Auftragswert von 250 bis 300 Millionen Euro sollen an die CH. Karnchang (Lao) Company Ltd. geliefert werden. Gesamtleistung: 1285 Megawatt - so viel, wie ein durchschnittliches Atomkraftwerk aufweist. Sofort schoss der Börsenkurs von Andritz nach oben.
Hinter Ch. Karnchang (Lao) steckt einer der größten Konzerne aus Thailand. Die Thailänder sind Bauherr, auch ein Großteil der Investitionskosten stammt von dort. Das soll sich bezahlt machen: 95 Prozent des produzierten Stromes werden nach Thailand exportiert. Für die Laoten bleibt kaum etwas übrig. Den meisten Dorfbewohnern dürfte das nötige Geld fehlen, um den Strom der thailändischen Investoren bezahlen zu können.
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