Erfolg durch neue Aktionsformen
Der Ökonom und Aktivist Sol Trumbo Vila über die Entwicklung sozialer Bewegungen in Europa
nd: Warum gibt es noch keine stärkere europäische Bewegung gegen die Austeritätspolitik?
Sol Trumbo Vila: Viele wünschen sich mehr europäische Handlungsfähigkeit, wissen aber nicht, wie das zu erreichen ist. Ich sehe vor allem zwei große Herausforderungen: Die eine ist die nationale Spaltung, denn in allen Ländern haben wir unterschiedliche Traditionen, Probleme anzugehen. Wir sind es gewohnt, vor allem auf nationaler Ebene zu handeln. Und die zweite ist die Spaltung zwischen Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und neuen sozialen Bewegungen. Auch hier hat jede Gruppe unterschiedliche Diskurse, Ideologien und Herangehensweisen.
Wie kann es Fortschritte geben?
Die Möglichkeiten gemeinsamer Handlungsfähigkeit wachsen. Denn immer mehr Akteure sehen, dass sie ohne diese an Macht verlieren. Und es gibt bereits Fortschritte. Zum letzten EU-Frühjahrsgipfel gab es den Aufruf »Für einen Europäischen Frühling«, den mehr als 60 Organisationen aus 13 Ländern unterstützten. Wir waren mit Aktionen sowohl in Brüssel präsent als auch dezentral in vielen anderen Städten.
Auf welche Themen müssen die Protestbewegungen bei ihren Aktionen aufmerksam machen, um die Spaltung zwischen Kern und Peripherie in der Eurozone zu überwinden?
Wir sollten vor allem über die Rolle des Finanzsektors reden und seine Macht, die politische Agenda zu beeinflussen. Occupy Wallstreet hat es sehr gut geschafft, klarzumachen, dass die Wallstreet der Gegner ist und ihr Einfluss das Problem. In Europa ist es das Gleiche. Wir müssen der historischen Entwicklung der Krise folgen, in der alle europäischen Regierungen ihre Finanzsektoren retteten, wofür sie enorme Schulden aufgenommen haben. Deshalb gibt es jetzt die gewaltigen öffentlichen Schulden und Defizite und nicht, weil es einen zu großen öffentlichen Sektor gibt.
Wie sollte vorgegangen werden?
Ein sehr wichtiger Beitrag der neuen Bewegungen sind die neuen Aktionsformen. Plätze besetzen und offene Versammlungen abhalten, das schafft neue Räume für Diskussion frei von traditionellen Strukturen und Hierarchien. Außerdem können durch neue kreative Aktionsformen wie Umzingeln des Kongresses in Spanien oder Blockupy in Deutschland neue Akteure geschaffen werden. Dabei kommen Individuen und Organisationen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen für einige Schlüsselthemen zusammen, um eine neue Macht aufzubauen, die den gemeinsamen Gegner konfrontiert. Denn wir können nur gewinnen, wenn es gelingt, eine neue Kraft zu schaffen, die tatsächlich eine Auswirkung auf das tägliche Funktionieren unseres gemeinsamen Gegners hat.
Aber in den neuen Bewegungen gibt es auch eine Menge Skepsis gegenüber Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft. Ist die nicht berechtigt?
Natürlich gibt es das, aber neue soziale Bewegungen sollten ihre Kritik aus einer Position der eigenen Stärke äußern. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist Spanien. Als Gewerkschaften nach einer Allianz mit anderen Bewegungen riefen, reservierten sie die Führungsrolle für sich. Die neuen sozialen Bewegungen agierten daraufhin eigenständig und schufen selbst einen neuen Akteur, die Bürgerfluten. Die sind jetzt in der Lage, bei der Mobilisierung mit den Gewerkschaften in einen Wettbewerb zu treten. Gewerkschaften fingen daraufhin an, das neue Machtgleichgewicht anzuerkennen.
Welche Sozialproteste stehen an und werden sie eine europäische Dimension haben?
Es gibt eine europaweite Mobilisierung für den 1. Juni ausgehend von Portugal. Das zeigt das neue Niveau der Zusammenarbeit in Europa. Bewegungen schauen nicht mehr nur auf ihr eigenes Land. Deshalb wird am 1. Juni nicht nur in Frankfurt bei Blockupy protestiert, sondern auch in vielen anderen europäischen Städten. Das Motto ist: »Völker vereint gegen die Troika!«
Mehr Informationen zu den anstehenden Aktionstagen unter: www.foraeuropeanspring.org
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!