Die EU ist für Kroatien eher Teil des Problems als der Lösung
In Zagreb endete das sechste »Subversive Festival«
nd: Warum haben Sie das »Subversive Festival« gegründet?
Horvat: Einerseits, damit man hier in Kroatien erneut über Jugoslawien und über die Periode des Sozialismus, der hier 50 Jahre dauerte, nachdenkt und diskutiert - und das weder verdammend noch idealisierend, sondern kritisch und produktiv. Es geht uns darum zu zeigen, was mit dem alten System nicht in Ordnung war, damit wir in der Zukunft ein besseres bauen können. Schon der Begriff Sozialismus war hier während der letztes 20 Jahre ein Tabu. Stattdessen ging es um Fortschritt, Übergang zum Kapitalismus und den Beitritt zur EU. Der steht nun bevor - und das ist der andere Grund, jetzt ein solches Festival zu veranstalten.
Viele Gäste des Festivals stehen dem EU-Beitritt Kroatiens sehr kritisch gegenüber. Sie meinen, dass ihr Land und der ganze Balkan nur die Peripherie des vereinten Europas sein werden...
Wenn man sich die Statistik ansieht, stellt man fest, dass der Balkan schon jetzt EU-Peripherie ist. In Kroatien sind schon heute fast 50 Prozent der jungen Menschen arbeitslos, ganz ähnlich wie in Griechenland oder Spanien. Unsere jetzige Regierung - auf dem Papier sozialdemokratisch, in Wirtschaftsfragen aber radikaler neoliberal als die vorherige konservative Regierung - will noch mehr Privatisierung, etwa des Postsystems, der Eisenbahn und so weiter. Zudem geht es um Sparmaßnahmen. Es gibt sogar Leute, die Bildungs- und Gesundheitssystem privatisieren wollen. In diesem Sinne ist Kroatien längst EU-Mitglied. Die EU ist eher Teil des Problems als der Lösung. Das hat offenbar auch ein großer Teil der kroatischen Bevölkerung begriffen, wie das Referendum über der EU-Beitritt im Januar gezeigt hat: Nur 43,5 Prozent beteiligten sich daran. Bei den ersten Wahlen zum EU-Parlament im April lag die Beteiligung sogar bei nur 22 Prozent. Die Sparmaßnahmen führen auch dazu, dass Nationalismus und Rechtsextremismus erstarken.
Trotzdem sind wir Festivalmacher nicht euroskeptisch, sondern eurorealistisch und euro-utopistisch. Man muss mit der EU etwas anders machen und es gibt auch einige Modelle, wie das funktionieren könnte. Die haben wir auf dem diesjährigen Festival vorgestellt - aber leider ist unsere Regierung daran nicht interessiert. Im Gegenteil, nachdem bereits 90 Prozent der Banken und viele Industriezweige privatisiert wurden, ist nach dem EU-Beitritt die Privatisierung der Wasser- und Energieversorgungssysteme zu erwarten.
Also dient das Festival auch als Fenster zur übrigen Welt, wo interessante Dinge geschehen, während die offizielle Politik in Kroatien blindlings der herrschenden Ideologie folgt?
Ja. Wir hatten zum Beispiel Álvaro García Linera eingeladen, Boliviens Vizepräsidenten, nach Evo Morales wichtigster Politiker des Landes. Aber niemand aus unserer Regierung wollte ihn treffen, weshalb er nicht gekommen ist. In Lateinamerika gibt es reale Alternativen, die jedoch die jetzige EU weder hören noch sehen will. Und für unsere Regierung sind heute - anders als in der jugoslawischen Periode, als wir weltweit diplomatisch sehr aktiv waren - nur Brüssel, Berlin und Washington wichtig. In den Medien erschienen Hymnen auf Margaret Thatcher. Man könnte dieses Verhalten selbst-kolonialistisch nennen.
Für die beim Festival versammelte junge Linke Kroatiens und anderer ehemals jugoslawischer Republiken stand nicht mehr der Nationalismus im Zentrum der Diskussion, sondern es ging vor allem um wirtschaftliche Probleme. Ist das ein Anzeichen für eine Trendwende?
Wir sind uns heute bewusst, dass der Nationalismus nicht Ursache, sondern eine Reaktion ist. Schon als Jugoslawien zum ersten Mal Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aufnahm, kam es hier zu Sparmaßnahmen. Sicher, es gab auch andere Gründe für den Nationalismus der 90er Jahre, aber die wirtschaftlichen waren ausschlaggebend. Auch Jugoslawien hatte seine Peripherie, also arme, weniger entwickelte Regionen wie Kosovo und Mazedonien. In diesem Sinne könnte das Schicksal Jugoslawiens ein gutes Beispiel für die EU sein. Es ist wichtig - wie Alexis Tsipras vom griechischen Linksbündnis Syriza gesagt hat - eine Verbindung zwischen den Ländern der Peripherie und eine Solidarität zwischen dem Norden und dem Süden der EU herzustellen. Auch Deutsche und Franzosen müssen sich mit dem Süden Europas solidarisieren.
Der 30-jährige Philosoph Srecko Horvat, eine der zentralen Figuren der neuen Linken in Kroatien, ist Direktor des »Subversiven Festivals«, das vom 4. bis 18. Mai zum sechsten Mal in der kroatischen Hauptstadt Zagreb stattfand. Daran nahmen 300 linke Aktivisten, Intellektuelle, Gewerkschafter und Vertreter sozialer Bewegungen teil - darunter Alexis Tsipras vom griechischen Linksbündnis Syriza, der US-amerikanische Regisseur Oliver Stone, der britische Historiker Tariq Ali und der slowenische Philosoph Slavoj Žižek. Zu Diskussionen und Arbeitsgruppentreffen des Festivals unter dem Motto »Die Utopie der Demokratie« kamen rund 20 000 Besucher. Themen waren unter anderem: »Der Balkan in und außerhalb der EU«, »Der Aufstieg der neuen Linken« oder »Neue wirtschaftliche Modelle«. Zudem wurden über 50 Filme aus aller Welt gezeigt.
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